Volksbegehren will Insektenschwund stoppen
Wenn es im Obstbaum nicht mehr summt, ist das ein Zeichen für den Insektenschwund

"Die Bayern haben uns vorgemacht, dass das gehen kann", erwartet Berufsimker und proBiene-Gründer David Gerstmeier optimistisch einen Erfolg des Volksbegehrens. "Die Zeit ist auch in Baden-Württemberg reif." Foto: Fabian Sommer
Von Linda Vogt
Stuttgart. Wird die Lage bedrohlich, mischt der Imker Zuckerwasser, Kamillentee, Salz und Honig zusammen. Mit der Lösung füttert David Gerstmeier seine Bienenvölker, bevor sie verhungern. In diesem Frühjahr ist die Lage bedrohlich. "Es sollte eigentlich jede Zelle hier oben mit Honig gefüllt sein", erklärt der 28-Jährige beim Blick in die Bienenbehausung. Doch keine Wabe leuchtet golden - es herrscht gähnende Leere.
"In den letzten Wochen haben die Bienen bei der Kälte viele Vorräte gebraucht, aber das Nahrungsangebot ist begrenzt", erklärt Gerstmeier. Auch wenn ihr die Vorräte ausgehen, die Honigbiene hat Glück. Zahlreiche Hobby- und Berufsimker sorgen sich um ihr Wohlergehen. Anders steht es um die Wildbienen im Südwesten: Bei den 459 gelisteten Arten ist nach Angaben des Umweltministeriums knapp die Hälfte (44,6 Prozent) gefährdet, vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben.
Deshalb will die Organisation proBiene, die der Berufsimker David Gerstmeier mitbegründet hat, das Gesetz in Baden-Württemberg ändern. Sie fordert unter anderem, mehr Ökolandbau und weniger Pestizide - manche der Chemikalien greifen Insekten direkt an, andere zerstören Pflanzen und schränken damit das Nahrungsangebot ein. Ab Sonntag wollen die Organisatoren Unterschriften sammeln; 10.000 sind nötig, um ein Volksbegehren auf den Weg zu bringen. In einem nächsten Schritt muss innerhalb von sechs Monaten jeder zehnte Wahlberechtigte im Südwesten für den Gesetzentwurf unterschreiben. Das sind etwa 770.000 Menschen.

Insbesondere Wildbienen - hier eine Gehörnte Mauerbiene - leiden unter der Nahrungsknappheit. Foto: dpa
Gerstmeier ist optimistisch. "Die Bayern haben uns ja vorgemacht, dass das gehen kann." Es war die bislang höchste Beteiligung an einem Volksbegehren in der Geschichte des Bundeslandes: Rund 1,7 Millionen Menschen - fast 18,4 Prozent der Wahlberechtigten - hatten dort für einen stärkeren Artenschutz unterschrieben. "Die Zeit ist auch in Baden-Württemberg reif. Das haben wir in den letzten Jahren gemerkt, das Thema ist bei den Menschen richtig präsent", erzählt Gerstmeier. Er selbst bekomme immer wieder Anrufe: "In meinem Baum summt es nicht mehr. Wie kann ich der Biene helfen?"
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Wie im Nachbarbundesland läuft das Projekt unter dem Motto "Rettet die Bienen", doch den Initiatoren geht es um weit mehr. Sie setzen sich für Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren ein. "Es sind nicht bloß die Bienen, die aussterben. Es hängt ganz stark an den Nahrungsketten: Vögel brauchen Insekten als Nahrung, Reptilien brauchen Insekten als Nahrung", sagt Imker Gerstmeier. Als wesentliche Faktoren für die Bedrohung der Artenvielfalt nennt das Umweltministerium unter anderem den Flächenverbrauch und die Intensivierung der Landwirtschaft.
60 Verbände, Unternehmen und Organisationen unterstützen nach Angaben von proBiene das Vorhaben - darunter auch die zwei größten Naturschutzverbände in Baden-Württemberg, der Naturschutzbund (Nabu) und der Bund für Umwelt und Naturschutz (Bund) mit nach eigenen Angaben fast 200.000 Mitgliedern.
Sie wollen die Landesregierung verpflichten, einen verbindlichen Plan vorzulegen, wie bis 2025 der Flächenanteil an ausgebrachten Pestiziden in Baden-Württemberg um die Hälfte verringert wird. Im Landwirtschaftsministerium hält man hingegen nicht viel von strikten Zielvorgaben: "Es geht um die Abwägung, wo kulturartspezifisch und in welcher Form eine Reduktion richtig und möglich ist und wo nicht. Die aktuelle Befallssituation bei Krankheiten und Schädlingen ist dabei entscheidend", teilte eine Sprecherin mit.
Zur Forderung nach mehr Ökolandbau wies das Ministerium zwar darauf hin, Landwirte zu unterstützen, die sich für einen Umstieg von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft entschieden. "Klar ist für uns aber, dass es die freie unternehmerische Entscheidung des Bauern ist, wie er seinen Betrieb und die Landschaft bewirtschaftet."
ProBiene will auch einen stärkeren Bestandsschutz für Streuobstwiesen. An so einer, im Stuttgarter Süden, imkert Gerstmeier. "Es ist einfach eine total artenreiche schöne Wiese, wo wir verschiedene Obstbäume drin haben, die dann auch zu ganz unterschiedlichen Zeiten blühen." Doch selbst, wo die Bedingungen relativ gut sind, brauchen die Honigbienen immer wieder Gerstmeiers Zuckerwasser-Kamillentee-Mischung.



