Radikalenerlass: Betroffene fühlen sich im Stich gelassen

"Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt" - Staatsministerium: Pauschale Entschuldigung kann es nicht geben

23.03.2016 UPDATE: 24.03.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 29 Sekunden

"Oppositionelles Verhalten, aber kein illegitimes": Klaus Lipps fordert eine Entschuldigung. Foto: Michael Latz

Von Sören S. Sgries

Heidelberg. Mitte März 2015. Klaus Lipps und seine Mitstreiter dürfen Hoffnung schöpfen. "Berufsverbote im Südwesten sollen aufgearbeitet werden", lautete die Nachricht. Gemeinsam mit den Regierungsfraktionen, vorangetrieben von Grünen-Innenpolitiker Uli Sckerl, war die Einigung auf einen "Runden Tisch" geglückt. Zwölf Monate später überwiegt die Enttäuschung.

"Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt", sagt Lipps, Sprecher der Initiative "40 Jahre Radikalenerlass". Doch die Aussichten sind nicht gut.

Dass der Gymnasiallehrer mit dem "Dank des Landes Baden-Württemberg für 40 Jahre treue Dienste" im Jahr 2006 in Pension gehen konnte, war vor allem sein eigener Verdienst: Regelmäßig hatte er sich erfolgreich gegen ein Berufsverbot durch die Instanzen klagen müssen. Jetzt strebt er nach politischer Anerkennung des Unrechts. "Eine Entschuldigung ist wichtig", sagt Lipps, "nicht nur für mich als direkt Betroffenen, sondern auch für meine Frau und meine Töchter. Sie haben 17 Jahre lang mitgelitten."

Als Bremser gilt den Betroffenen Ministerpräsident Winfried Kretschmann selbst, der sich an der Hochschule im "Kommunistischen Bund Westdeutschlands" engagierte. "Diese Verirrungen in irgendwelche linksradikalen Sekten - mein Gott, irgendwann wacht man glücklicherweise auf und merkt, dass man in einem Tunnel steckt", hatte sich der Grüne erst kürzlich wieder beim RNZ-Forum distanziert. "Ein leuchtendes Beispiel für Wandlungsfähigkeit", spottet Lipps bitter.

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Die offizielle Ablehnung formulierte Kretschmanns Staatssekretär Klaus-Peter Murawski - zuletzt in einem Schreiben von Mitte Februar an die IG Metall-Führung, die sich hinter die Initiativ-Gruppe gestellt hatte. Eine "pauschale Entschuldigung" sehe man kritisch, so Murawski. Damit werde man "der Vielschichtigkeit des Themas nicht gerecht". Zu bemängeln sei ja nicht, dass der Staat bei Zweifeln an der Verfassungstreue Überprüfungen vornehme. Personen, bei denen zu befürchten sei, dass sie sich mit der "freiheitlichen demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung dieses Staates" nicht identifizierten, seien als Beamte "ungeeignet", schreibt der Staatskanzleichef. "Daran ist nicht zu rütteln."

Murawski räumt zwar ein, dass die sogenannte Regelabfrage, mit der einst jeder Bewerber vom Landesverfassungsschutz überprüft wurde, "problematisch" war. Ebenso, dass aufgrund der Mitgliedschaft zu bestimmten Parteien "schematisch" Verfassungsuntreue unterstellt wurde. Inzwischen gibt es laut Innenministerium eine Einzelfallprüfung - insbesondere wenn Umstände vorliegen, die "Anlass zu Zweifeln an der Verfassungstreue geben könnten".

Für Murawski beim Blick in die Historie entscheidet: Auch bei den pauschalen Berufsverboten der 70er sei nur in einigen Fällen vor Gericht die Unrechtmäßigkeit geklärt worden. Viele weitere wurden keiner solchen Prüfung unterzogen. Es bedürfe jedoch einer "konkreten Auseinandersetzung mit den einzelnen Sachverhalten", so Murawski. Einer wissenschaftlichen Aufarbeitung vorzugreifen wäre falsch. "Aus diesem Grund kann es keine pauschale Rehabilitierung geben", heißt es abschließend.

Für Lipps ist das enttäuschend. Die wissenschaftliche Aufarbeitung sei "ein Herzensanliegen von Herr Kretschmann", sagt er. Sie arbeiteten da gerne mit, "aber das kann nicht die Voraussetzung sein für eine politische Entschuldigung". Im Landesarchiv lägen bergeweise Fallakten, auch im Besitz der Betroffenen befinde sich "meterweise" Material. Das alles komplett durchzuarbeiten, würde "ewig dauern", man müsse exemplarisch vorgehen, so Lipps. Und warnt: Ihre "Grabsteine" bräuchten keine Entschuldigung mehr. Zumal es einige gäbe (nicht er selbst), die durch die Berufsverbote "unverschuldet von Altersarmut betroffen sind". Denen müsse geholfen werden.

"Politisch unredlich und moralisch schäbig" findet Lipps zudem einen Hinweis Murawskis auf aktuelle "Problemfälle" aus dem rechtsextremen Bereich, mit denen er die Bedeutung einer Überprüfung von Beamten unterstreicht. "Wir lassen uns nicht mit Rechtsextremen in eine Ecke stellen", wettert Lipps. Diejenigen, die auf dieser Grundlage aus dem Staatsdienst entfernt worden seien (er nennt NPD-Funktionäre), hätten Dienstvergehen begangen. Die Radikalenerlass-Betroffenen jedoch nicht. "Natürlich war es oppositionelles Verhalten, das wir gezeigt haben", sagt der Initiativen-Sprecher, "aber kein illegitimes". Wenn man ihnen Fehlverhalten vorhalte, dann solle man diese Fälle benennen - "wir sind gespannt."

Das Innenministerium erklärt auf RNZ-Anfrage übrigens, eine aktuelle Statistik über die Bewerber-Ablehnungen führe man nicht. Bekannt sei lediglich der Fall einer Polizei-Bewerberin, die in einem Fragebogen ihre Zugehörigkeit zu einer Jugendorganisation der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs" angegeben hatte, die der Verfassungsschutz beobachtet.

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