Mittendrin trotz des Kopftuchs: Eine Türkin beim Landfrauenverband

Nurcan Tetik aus Züttlingen ist die einzige Türkin an der Spitze des Landfrauenverbands

20.10.2016 UPDATE: 21.10.2016 06:00 Uhr 2 Minuten, 13 Sekunden

Insignien einer Landfrau: Nurcan Tetik trägt den Schal des Verbands als Kopftuch, ihren Tee trinkt sie am liebsten aus der Tasse mit dem Bienen-Logo. Foto: Frank

Von Hans Georg Frank

"Es täuscht vieles", sagt Nurcan Tetik (49), als sie bemerkt, dass ihr Verzicht auf eine Art Erkennungszeichen nicht erwartet worden war. "Zuhause trage ich kein Kopftuch", erklärt die Türkin mit den luftigen Locken. Dabei ist dieses Kopftuch doch so bekannt geworden als ein Symbol des Trotzdems. Nurcan Tetik, in Istanbul geboren, seit ihrem zehnten Lebensjahr in Deutschland zu Hause, hat sich trotz dieser Frisurverhüllung überall durchgesetzt, ist damit sogar zur Führungskraft in der wohl deutschesten aller Organisationen geworden: Sie leitet den Bezirksverband Jagsttal des Landfrauenverbands.

"Ich bin sozusagen die Retterin des Verbands", erklärt Tetik schmunzelnd. Hätte sie nicht die Oberaufsicht über sechs Vereine mit insgesamt 360 Frauen übernommen, wäre für die Jagsttälerinnen die Fusion mit den Kochertälerinnen nicht mehr abzuwenden gewesen. "Ich wurde einstimmig gewählt", sagt die Türkin frohgemut und lässt sich ihren berechtigten Stolz nicht anmerken.

Die dreifache Mutter - Sohn Kürsad (28), Töchter Mihrisah (24) und Asya (16) - ist überzeugt, dass "ihre" Landfrauen sie nicht nur zur Anführerin machten, um auf jeden Fall die Selbstständigkeit zu erhalten. Nurcan Tetik ist einfach eine derart patente Frau, dass der Pass überhaupt keine Rolle spielt. Die gelernte Friseurin passt bestens in das moderne Muster der Landfrauen, die Organisationstalente sind, zupacken wollen und mehr Lösungen haben als es Probleme gibt.

Die Frau aus der Metropole Istanbul hat sich so angepasst, dass sie nach drei Wochen Urlaub in der Türkei Spätzle zum Gulasch vermisst. Daheim greift sie zur Presse, wenn es ihr Lieblingsessen geben soll.

Inzwischen hat sich beim Landfrauenverband Württemberg-Baden herumgesprochen, dass Nurcan Tetik keine Exotin ist. "Ich schätze es sehr, dass sich Frau Tetik so engagiert", lobt die Präsidentin Marie-Louise Linckh. "Wir freuen uns über ihre Ausstrahlung", bestätigt die Geschäftsführerin Beate Krieg, "sie ist echt toll."

"Ich möchte in der Mitte stehen, nicht am Rand", betont Nurcan Tetik, die seit 20 Jahren in Züttlingen lebt. Für sie zählten Akzeptanz und Toleranz. Damit fühlt sie sich gut aufgehoben bei den Landfrauen. In der Gegend ist bekannt, dass sie auch sehr sportlich ist, leitete sie als doch einzige Frau in Deutschland die Judoabteilung eines Sportvereins. Auch als Co-Trainerin hat sich die Trägerin des orangefarbenen Gürtels einen Namen gemacht, stand dabei auch in der Mitte, nicht am Rand.

Ein Jahr nach dem ersten Kontakt mit den 40 Landfrauen im Dorf hatte sie sich so eingefügt, dass sie zu Höherem berufen schien. "Ich habe das Ding, mit den Leuten besser zu kommunizieren." Welches Ding? "Vielleicht ist es Offenheit!" Nur eine einzige Frau, "eine der ältesten", war mit der Wahl zur Vorsitzenden nicht einverstanden: "Eine Türkin mit Kopftuch - spinnt ihr denn?" Aus Protest trat sie aus. Der Landfrauenverband ist für sie nicht nur Herzenssache, er wurde auch zur Familienangelegenheit. Die älteste Tochter ist bereits Mitglied. Denn: "Wir brauchen frisches Blut, der Verein ist überaltert." Bei der Geschäftsstelle in Stuttgart, zuständig für 52.000 Mitglieder in 624 Ortsvereinen, ist über den Altersschnitt nichts zu erfahren. "Es gibt keine aktuelle Erhebung", weicht Beate Krieg aus. Offiziell wird nicht einmal "60 plus" bestätigt.

Nurcan Tetik glaubt, dass die Vereine auch auf Frauen unter den Zuwanderern und Flüchtlingen zugehen sollten. "Die Integration wird erleichtert, weil keine Männer dabei sind", sagt sie, "man kann zum Beispiel miteinander kochen, ohne dieselbe Sprache zu sprechen." Präsidentin Linckh scheint vorsichtiger zu sein. Sie setzt auf Frauen, "die länger hier sind", am besten sollten sie in Deutschland geboren sein oder die Schule besucht haben: "Dann ist ihnen der Umgang mit unseren Frauen und unserer Kultur schon vertraut."

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