Neckarsulm

Der B27-Anschluss ist endgültig vom Tisch

OB Hertwig findet, das Projekt stamme aus einer anderen Zeit. Nun sollen Lösungen gesucht werden, die nicht "stadtzerstörend" wirken.

29.07.2021 UPDATE: 30.07.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 46 Sekunden
Der auf fast 50 Millionen Euro geschätzte Anschluss der B 27 an die darüber führende Binswanger Straße ist vom Tisch. Unter anderem hätten dafür die Radiologische Praxis (rotes Gebäude links) und die Baumschule Schimmele (rechts) umgesiedelt werden müssen. Foto: A. Guzy

Neckarsulm. (rnz) Neckarsulm will den seit 20 Jahren geplanten Anschluss der Bundesstraße B27 an die "Binswanger Straße" nicht weiterverfolgen. In Abstimmung mit den Fraktionsvorsitzenden und einer großen Mehrheit im Gemeinderat hat die Stadtverwaltung nun endgültig Abstand von dem Großprojekt genommen. In einer öffentlichen Sondersitzung des Gemeinderates erläuterte Oberbürgermeister Steffen Hertwig die Gründe für den Kurswechsel. Für diese Position, so wird im Rathaus betont, habe der Oberbürgermeister die ausdrückliche Unterstützung von Landesverkehrsminister Winfried Hermann.

"Im Laufe des jahrzehntelangen Planungsprozesses für den B27-Anschluss haben sich die Rahmenbedingungen grundlegend verändert", stellte Hertwig fest. "Dieses Projekt stammt aus einer anderen Zeit. Wir wollen das Verkehrssystem der Stadt Neckarsulm ganzheitlich neu betrachten und nach angepassten, verträglicheren Lösungen suchen, die nicht stadtzerstörend wirken. Daher empfehle ich dem Gemeinderat, von dem Bau des B27-Anschlusses abzurücken."

Die überarbeitete Entwurfsplanung liegt derzeit dem Landesverkehrsministerium vor. Mit der Weiterleitung an das Bundesverkehrsministerium sollte das Projekt den abschließenden "Gesehen"-Vermerk erhalten. Mit diesem Vermerk stimmt der Bund dem Großprojekt zu und erklärt seine Bereitschaft, sich an den Kosten zu beteiligen. Das Ministerium hatte aber zuletzt mitgeteilt, dass es die Unterlagen erst dann an den Bund weiterleitet, wenn sich die Stadt nochmals klar zu dem Projekt bekennt. "Dieses Bekenntnis kann ich für mich nicht mehr geben", erklärte Hertwig. "Sowohl bei mir persönlich als auch im Gemeinderat hat ein Umdenken stattgefunden. Daher plädiere ich dafür, jetzt die Vorentscheidung zu treffen und die Hängepartie ein für allemal zu beenden."

Hintergrund

> Entlastung durch den B27-Anschluss hatten sich vor allem die verkehrsgeplagten Anwohner der Neuenstädter Straße und der Binswanger Straße erhofft. "Ich kann verstehen, dass die Projektbefürworter jetzt enttäuscht sind", stellte Hertwig klar und bot den Betroffenen

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> Entlastung durch den B27-Anschluss hatten sich vor allem die verkehrsgeplagten Anwohner der Neuenstädter Straße und der Binswanger Straße erhofft. "Ich kann verstehen, dass die Projektbefürworter jetzt enttäuscht sind", stellte Hertwig klar und bot den Betroffenen Gespräche nach der Sommerpause an. (rnz)

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"Für mich ist die Entscheidung nachvollziehbar und akzeptabel", äußerte sich Verkehrsminister Hermann, der von Hertwig und Bürgermeisterin Suzanne Mösel persönlich über die endgültige Abkehr informiert wurde, "sie erfordert aber jetzt verkehrsträgerübergreifende Ersatzlösungen. Mit der Abkehr vom geplanten Vorhaben müssen wir die Verkehrssituation entlang der Bundesstraße B27 neu bewerten", betont Verkehrsminister Hermann.

Das Projekt ist Bestandteil des Maßnahmenkonzepts im Mobilitätspakt Heilbronn/Neckarsulm. Zu diesem haben sich im Jahr 2017 unter der politischen Leitung des Verkehrsministeriums neben dem Regierungspräsidium Stuttgart der Landkreis Heilbronn, die Städte Heilbronn und Neckarsulm, die Albtal-Verkehrs-Gesellschaft Karlsruhe und die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg sowie zuletzt die Städte Bad Friedrichshall und Bad Wimpfen zusammengeschlossen, um die Verkehrsprobleme vor Ort mithilfe eines nachhaltigen Konzeptes Schritt für Schritt zu lösen.

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Wie Hertwig in der Sondersitzung erläuterte, hatten vielschichtige Gründe den Ausschlag gegeben, den B27-Anschluss neu zu bewerten. So zeichnet sich ab, dass die Corona-Krise die Arbeitswelt nachhaltig verändern wird. Die Arbeit im Homeoffice wechselt sich mit der Präsenz am Arbeitsplatz ab. Auch wenn viele Arbeitnehmer wieder in die Unternehmen und Betriebe zurückkehren werden, wird die Form des hybriden Arbeitens zunehmen. "Das wird unsere Straßen nachhaltig entlasten", erklärte Hertwig.

Auch das Verkehrsministerium wird diesen Faktor definieren und in künftigen Verkehrsgutachten berücksichtigen. Der immer dringlicher werdende Klimaschutz wirft ebenfalls ein neues Licht auf das Vorhaben, denn dieses musste im Zuge der überarbeiteten Entwurfsplanung aufgrund neuer Richtlinien noch größer dimensioniert werden.

Die Stadt arbeitet bereits an digitalen Lösungen, um das Verkehrsverhalten mit Hilfe dynamischer Mobilitätsdaten intelligent zu steuern. Darüber hinaus spüren Verwaltung und Gemeinderat in der Öffentlichkeit immer stärkere Vorbehalte gegen das Projekt. Bereits beim Bürgerentscheid hatte sich eine Mehrheit der Abstimmenden gegen das Projekt ausgesprochen. Weil aber das gesetzlich vorgeschriebene Quorum knapp verfehlt wurde, war der Bürgerentscheid gescheitert.

"Ich spüre deutlich, dass der B27-Anschluss auch im Gemeinderat keinen ausreichenden Rückhalt mehr findet. Daher macht es keinen Sinn, an diesem Projekt festzuhalten. Es ist besser, jetzt die Reißleine zu ziehen und für Klarheit zu sorgen", sagte Hertwig. "Mit dieser klaren Positionierung wird es uns hoffentlich gelingen, die Spaltung der Stadtgesellschaft in dieser Frage zu überwinden."

"Wir werden die Verkehrssituation in Neckarsulm jetzt im Mobilitätspakt neu betrachten", kündigte der OB an. "Statt der zentralen großen Lösung müssen wir jetzt auf ein alternatives, verträglicheres Maßnahmenbündel setzen, um die Innenstadt vom Verkehr zu entlasten." Minister Hermann hat bereits angeboten, die Verkehrsprobleme bei einem Besuch in Neckarsulm persönlich mit dem Oberbürgermeister zu erörtern und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

"Auch diese Alternativlösungen werden Geld kosten", betonte der Oberbürgermeister. "Insofern können wir die Millionen, die wir durch den Verzicht auf den B27-Anschluss einsparen, sehr gut an anderer Stelle einsetzen." Im Oktober wird der Gemeinderat in öffentlicher Sitzung abschließend über das Projekt entscheiden.

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