Kriminalprävention

Zivilcourage zwischen Panik und Gewissen

Wie hilft man in brenzligen Situationen? Landesweite Workshops geben Empfehlungen.

29.11.2019 UPDATE: 30.11.2019 06:00 Uhr 1 Minute, 49 Sekunden
In den Seminaren des Weißen Rings soll Teilnehmern der richtige Umgang mit heiklen Situationen vermittelt werden. Symbolfoto: dpa

Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Der neu zugestiegene Fahrgast lässt er sich lautstark in den S-Bahn-Sitz fallen, er beginnt zu pöbeln, über Fußball, übers andere Geschlecht. "Mann, bin ich schlecht gelaunt", erklärt er. "Es sind immer die Frauen!" Dann quetscht er provozierend die Füße auf den Sitz einer 57-Jährigen gegenüber. Der Mann ist groß und kräftig, der hagere Rentner neben der Dame hätte gegen ihn kaum eine Chance. "Ohnmächtig" fühlt sich auch der vierte Passagier in der Sitzgruppe.

Die Situation ist gestellt: Die Beteiligten sind Teilnehmer eines Zivilcourage-Trainings des Opferhilfevereins Weißer Ring Baden-Württemberg. Nach medienwirksamen Vorfällen wird oft ein Mangel an Mut zum Eingreifen beklagt; so etwa diesen Monat in Freiburg, wo dem Gast eines Fitness-Studios die Kippa vom Kopf genommen worden sein soll. Ohne ein abrufbares Repertoire an Handlungsmöglichkeiten stehen aber auch gutwillige Menschen oft vor einem Dilemma.

"Wenn hier oben gesucht wird und da ist es leer", sagt Erster Kriminalhauptkommissar Günther Bubenitschek und zeigt mit der rechten Hand auf seine Schläfe, "dann wird’s schwierig."

Der 60-Jährige arbeitet beim Landeskriminalamt, Spezialgebiet Vorbeugung, ist seit diesem Jahr aber auch Präventionsbeauftragter beim Weißen Ring. Gemeinsam mit Stefanie Ferdinand (65) will er dafür sorgen, dass es gar nicht erst zu Ratlosigkeit kommt: "Es gibt immer eine Handlungsperspektive oder einen Weg aus der Situation raus", ist die Theaterpädagogin überzeugt.

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Gemeinsam entwickeln die beiden seit 2010 Seminare, um das Gespür für solche Wege zu schärfen. "Schnell weg – zwischen Panik und Gewissen" heißt das Konzept. Es entstand zusammen mit regionalen Vereinen an der ehemaligen Polizeidirektion Heidelberg und wird gemeinsam mit dem Polizeipräsidium Mannheim umgesetzt. Der Weiße Ring will es weiter verbreiten.

Stimme, Körperlichkeit, Distanz: Wer eine Situation beherrschbar machen will, muss sich selbst kontrollieren, treffend beobachten und klar kommunizieren können. Mit kurzen, durchaus vergnüglichen Übungen schärfen acht Männer und vier Frauen im Stuttgarter Hospitalhof die Wahrnehmung für sich und ihre Umgebung. "Es gibt kein Allgemeinrezept", sagt Ferdinand. "Jede und jeder mischt sich anders ein." Doch jede Entscheidung hat Folgen, und die im Vorhinein durchgespielt zu haben, schafft im Ernstfall Orientierung.

Statistiken zufolge ist die Zahl der verletzten Helfer gering, wenn sie bestimmte Regeln beachten. "Einen Notruf abzusetzen kann man jedem zumuten", erklärt Bubenitschek. Doch wer weiß schon, wie man vom eigenen Handy Notrufe absetzt, ohne aufs Display zu schauen? Dass Baden-Württemberg über eine Notfall-SMS-Nummer für Gehörlose und für Situationen verfügt, in denen Reden nicht möglich ist (0152 2/18.071 10)? Dass es in S-Bahnen für gewöhnlich Sprechverbindung zum Fahrer gibt?

Beim Seminar in Stuttgart kommt es nicht zur Eskalation, denn die Rollenspieler verhalten sich höchst effektiv. Die Teilnehmer sind zum großen Teil Polizisten und wissen ziemlich genau, was sie tun. Sie sind nicht hier, um Zivilcourage zu lernen, sondern wollen etwas über die Seminar-Methodik erfahren: Sie sind Multiplikatoren, sollen helfen, das Präventionsangebot in die Gesellschaft zu tragen.

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