Interview

"Es droht der Rückfall zu vollen Straßen, vielen Staus"

Verkehrsminister Winfried Herrmann sieht Chancen, in Corona-Zeiten die Verkehrswende voranzutreiben - Schulbeginn soll flexibler werden - Home-Office-Pauschale?

31.07.2020 UPDATE: 01.08.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 54 Sekunden
„Ich bin vom Typus her kein Ruheständler“, erklärt Winne Hermann, warum er – anders als grüne Kabinettskollegen – noch keinen Abschied aus der Politik plant. Foto: Christoph Schmidt

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Seit 2011 steht er als Verkehrsminister an der Seite von Ministerpräsident Winfried Kretschmanns: Winfried "Winne" Hermann. Der politische Gegner stellt den 68-jährigen Grünen gerne als fahrradverliebten Autoschreck dar. Tatsächlich kämpft Hermann seit Jahren für eine ökologische Verkehrswende – und will das auch weiterhin tun.

Herr Hermann, die grüne Finanzministerin Edith Sitzmann und der grüne Umweltminister Franz Untersteller steigen 2021 aus der Politik aus. Was ist mit Ihnen?

Ich möchte gerne weitermachen. Ich kandidiere wieder im Wahlkreis Stuttgart II, den ich 2016 direkt gewonnen habe. Mein Ehrgeiz ist es, wieder das Direktmandat zu gewinnen.

Ihre Gegenkandidatin im Wahlkreis ist Susanne Eisenmann, die Spitzenkandidatin der CDU.

Auch interessant
RKI befürchtet Trendumkehr: Steigende Corona-Infektionszahlen: Disziplin gefordert
Tagesausflug, Radtour, Wandern: Freizeit-Tipps für den "Corona-Sommer" in der Region
Auslandsreisen: Kretschmann rät von Auslandsreisen ab
Sommerferien zu Hause?: Kretschmann: Urlaub im Ausland nicht angemessen

Das schreckt mich nicht.

Sie wollen sie auch schlagen, um Sie als Ministerpräsidentin zu verhindern?

Der Gewinn des Direktmandats ist keine zwingende Voraussetzung für das Ministerpräsidenten-Amt. Aber es wäre ein schlechtes Omen für die CDU. Wenn Susanne Eisenmann das Direktmandat in ihrem Heimatwahlkreis nicht gewinnt, spricht viel dafür, dass die CDU auch insgesamt hinter den Grünen liegen wird. Das ist unser das Ziel.

Was reizt Sie noch, außer der Aussicht, Frau Eisenmann zu schlagen?

Ich habe mir auch überlegt, ob ich aufhören soll. Die Politik hat ja ihren Preis, man hat eine hohe Arbeitsbelastung, ist ständig in Alarmbereitschaft und unter Beobachtung und hat wenig freie Zeit. Auf der anderen Seite haben mich viele ermuntert, weiterzumachen: Deine Positionen sind wichtig, deine Verkehrspolitik ist wichtig. Dazu kommt: Ich bin vom Typus her kein Ruheständler, mir macht das politische Gestalten Spaß. Und ich will die Verkehrswende weiter vorantreiben.

Hat Ihnen bei der Verkehrswende nicht Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht?

Eigentlich nicht. Die Corona-Zeit hat gezeigt, dass wir als Gesellschaft Verkehrswende-fähig sind. Wer hätte vor der Pandemie gedacht, dass wir nicht mehr fliegen, dass wir für eine gewisse Zeit aufs Auto, auf Konferenzen, auf Urlaub verzichten können? Jetzt stellen wir überrascht fest: So schlecht ist es gar nicht, Pfingsten zuhause zu sein und auf einer Radtour die nähere Umgebung zu erkunden.

Die Veränderung basiert doch größtenteils auf Verboten.

Natürlich waren die Leute am Anfang gezwungen, zuhause zu bleiben oder andere Mobilitätsformen auszuprobieren. Aber dann haben viele die Vorteile entdeckt und Lust gekriegt, das zeigt der Boom beim Kauf von Fahrrädern. Da ist die Verkehrswende sichtbar geworden.

Gibt es nicht auch gegenteilige Entwicklungen?

Klar. Der Autoverkehr ist zunächst stark zurückgegangen, hat jetzt aber fast schon wieder den Vor-Corona-Stand erreicht. Fatal ist, dass der öffentliche Personennahverkehr drastisch eingebrochen ist, teilweise um über 90 Prozent, noch immer fehlt fast die Hälfte der Fahrgäste, die wir vor der Pandemie hatten. Wir tun alles, um den potenziellen Makel der Ansteckungsgefahr zu heilen, indem wir werben: Trefft Vorsorge, haltet Abstand, tragt Maske! Der ÖPNV ist sicher.

Haben Sie den Eindruck, die Maskenpflicht wirkt?

Am Anfang haben in Bussen und Bahnen praktisch alle eine Maske getragen. Das lässt jetzt leider nach. Wir können eine zweite Welle aber nur vermeiden, wenn sich alle an die Regeln halten. Wir setzten daher noch stärker auf Aufklärung, aber auch auf mehr Kontrollen.

Welchen Effekt hat der Home-Office-Boom, das verstärkte Arbeiten von zuhause aus?

Rund 30 Prozent der Beschäftigten in Baden-Württemberg waren in der Hochphase der Pandemie im Homeoffice. Sonst sind es nur zwölf Prozent. Das hat den Verkehr auf den Straßen deutlich reduziert. Viele Firmen haben sich darauf nun eingestellt, so dass wir die Vorteile der digitalen Arbeitswelt künftig nutzen können, um Verkehre besser zu lenken. Wenn wir nicht steuern, droht der Rückfall zum Vor-Corona-Zustand mit vollen Straßen, vielen Staus.

Was meinen Sie mit steuern?

In der Landesverwaltung aber auch darüber hinaus könnte ich mir, wo das möglich ist, Hybridformen vorstellen: In den Hauptverkehrszeiten verstärkt Home Office oder mobiles Arbeiten, in den Nebenzeiten verstärkt Büropräsenz, weil nicht alles digital geht. Komplexer wird’s bei den Schulen, aber auch da sollten wir ran: Die starren Schulanfangszeiten sind die Hauptursache für morgendliche Staus, weil die Eltern ihre Mobilität an den Schülern orientieren. Gestaffelte Schulöffnungszeiten würden viel Entlastung bringen.

Wo wollen Sie noch ansetzen?

Bisher belohnen wir über die Pendlerpauschale diejenigen, die mit dem Auto zur Arbeit fahren und möglichst lange Strecken zurücklegen. Ökologisch und verkehrlich sinnvoller wäre es aber, diejenigen steuerlich zu belohnen, die zuhause arbeiten. Ich wäre daher für die Einführung einer Home-Office-Pauschale als Anreiz, den Autoverkehr gerade in den Spitzen zu reduzieren. Ich kann mir eine entsprechende Bundesratsinitiative vorstellen. Im internationalen Vergleich ist unsere Home-Office-Quote allenfalls durchschnittlich. Da sollte mehr gehen auch mit Co-Working-Büros und mobilem Arbeiten jenseits von Stauräumen und Stauzeiten.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.