Heilbronn

Dieses Kunstprojekt soll die Stadt verändern

Heilbronn ist ein Jahr lang "Hauptstadt der Folgenlosigkeit". Akteure von der Hochschule bis zur Band der Wohnungslosen.

03.05.2022 UPDATE: 04.05.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 24 Sekunden
Philipp Wolpert und Tobias Frühauf (r.) haben Heilbronn zur „Hauptstadt der Folgenlosigkeit“ gemacht. Das Kunstprojekt, das nun gestartet ist, hat zahlreiche Unterstützer gefunden. Foto: Brigitte Fritz-Kador

Von Brigitte Fritz-Kador

Heilbronn. Was Oberbürgermeister Harry Mergel dazu sagt, dass Heilbronn nun für ein Jahr die "Hauptstadt der Folgenlosigkeit" ist, hört sich gut an. Ab sofort aber geht es nicht ums Reden, sondern ums Handeln – nur: mit welchen Folgen?

Dem nun gestarteten Kunstprojekt wohnt eine gewollte Paradoxie inne. Es fängt schon damit an, dass es ein künstlerisches sein will, die Wirkung aber eine politisch-gesellschaftliche sein wird, eben so, wie es Mergel beschreibt: "Die Folgen unseres Handelns zu bedenken, begleitet intensiv unsere tägliche Arbeit in allen Bereichen. Ich freue mich auf die künstlerische Auseinandersetzung in allen Dimensionen der Folgenlosigkeit, zu der dieses Projekt breiten Raum öffnet. Heilbronn zählt zu den dynamischsten Städten in Deutschland mit vielen positiven Folgen. Die Veranstaltungsreihe kann gute Impulse geben und so Bestandteil unseres Stadtentwicklungsprozesses werden."

Hintergrund

> Professor Friedrich von Borries (1974) ist Architekt, lehrt seit 2009 Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste, Hamburg. Er forschte unter anderem an der Stiftung Bauhaus Dessau, der Technischen Hochschule Zürich, am Massachusetts Institute of Technology, war

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> Professor Friedrich von Borries (1974) ist Architekt, lehrt seit 2009 Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste, Hamburg. Er forschte unter anderem an der Stiftung Bauhaus Dessau, der Technischen Hochschule Zürich, am Massachusetts Institute of Technology, war Mitglied der Jungen Akademie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie für Naturforscher Leopoldina (2007 bis 2012) sowie Generalkommissar für den Deutschen Beitrag auf der XI. Architekturbiennale (2008) in Venedig. Sein Buch "Fest der Folgenlosigkeit" erschien 2021 beim Suhrkamp-Verlag.

Eine auch prominent besetzte Jury hat > Alexander Estis zum Stadtschreiber gewählt, es gab dafür auch sehr hochqualifizierte Bewerbungen. Estis übt dieses "Amt" zurzeit noch in Köln aus. Er wurde 1986 in einer jüdischen Künstlerfamilie in Moskau geboren, hier erhielt er seine Ausbildung an Kunstschulen und bei Moskauer Künstlern. 1996 siedelte er mit seinen Eltern nach Hamburg über. Nach Abschluss des Studiums in deutscher und lateinischer Philologie arbeitete er als Dozent für deutsche Sprache und Literatur an verschiedenen Universitäten in Deutschland und der Schweiz, wo er seit 2016 als freier Autor lebt. (bfk)

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Es ist nicht zu erwarten, dass es eine ganze Stadt tut, aber es werden viele sein, die sich angeregt und aufgefordert sehen, sich Gedanken darüber zu machen, wie man mit dem Klimawandel, der fortschreitenden Digitalisierung, mit sozialer (Un-)Gerechtigkeit, Bildungschancen und industriellen Transformationsprozessen leben wird. Es gehe ja nicht um die Hauptstadt der Erfolgreichen, sagen Philipp Wolpert und Tobias Frühauf dazu. Sie beide stehen hinter dem Label "Tacheles und Tarnatismus", sind als Kulturakteure, Theaterschreiber und -macher längst in Deutschland bekannt und bilden zusammen mit dem Autor Friedrich von Borries als Veranstalter den "Bund der Folgenlosen" Das Unterfangen ist die Folge eines Buches von Borries, sein Titel: "Fest der Folgenlosigkeit".

Nun aber wird Text zur Tat und dabei gibt es viel Unterstützung, durch die Stadt und ihre Kulturinstitutionen, die Kirchen, die Hochschule Heilbronn, die VHS, das Württembergische Kammerorchester, den Kunstverein, das Theaterschiff und viele mehr, mit eigenen Beiträgen, Performances, Workshops und Events. Geziert hat sich nur das Theater Heilbronn.

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Zwei Projekte sind ganz neu für Heilbronn. Ein Stadtschreiber wird ein Jahr lang hier leben und alles aufschreiben, und es wird ein "Stipendium für Folgenlosigkeit" geben. Zum Einstieg in diese "neue Welt" wird von Borries aus dem "Fest der Folgenlosigkeit" im Literaturhaus lesen, danach wird losgefeiert ("Der Rave zum Auftakt") im "Mobilat", und tags darauf, am 7. Mai, findet die offizielle Auftaktveranstaltung in der Maschinenfabrik statt. Die Ausschreibung für das Stipendium ist am Montag angelaufen; jede und jeder, der in Heilbronn oder im Landkreis lebt, kann sich bewerben, die Auswahl unter den drei Gewinnern erfolgt in einem hochkomplexen basisdemokratischen Verfahren. Dotiert ist das Stipendium mit 5000 Euro.

Wolpert und Frühauf beschreiben es so: "Dafür sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt! Von blankem Nonsens über Lob zur Faulheit? Alles ist möglich, aber der Grundgedanke muss stets berücksichtigt werden: Es geht um das Unterlassen und Sein-lassen von Dingen. Ein Vorhaben, das die Bürgerinnen zu einem folgenloserem Leben, zu Verzicht und einem anderen Lebensstil animieren will." Auch Stadtschreiber Alexander Estis hat schon feste Vorstellungen: "Unter dem Titel ’Protokolle der Unterlassung’ möchte ich versuchen, die Untätigkeit, aber auch die Verhinderung oder den Abbruch von Handlungen literarisch darzustellen. Erscheint das Protokollieren des Folgenlosen geradezu als Paradoxie, so könnte ausgerechnet aus dieser die stilistische wie auch die gesellschaftliche Sprengkraft solcher Protokolle resultieren."

Im Schul- und Kulturamt nutze man einen Raumgewinn dafür, ein "Amt für Folgenlosigkeit" einzurichten, als Koordinationspunkt, Anlaufstelle für Bürger, Planungszelle für noch vieles, was im öffentlichen Raum stattfinden wird. Jetzt schon werben großflächige Plakate für das Projekt, das Stipendium ist Stadtgespräch, die Spannung steigt. Der Heilbronner Fotograf Nico Kurth wird das Jahr dokumentieren, ein Filmteam ebenfalls.

Wer der Folgenlosigkeit folgen will, wird in seinem Kalender viele Termine freihalten müssen und sollte sich ständig über die Website informieren, denn längst ist noch nicht alles festgeschrieben. Der Tipp zum Start: Die schon festgelegten Veranstaltungen der Hochschule Heilbronn und als "Muttertagsgeschenk" das "Benefiz-Naturkonzert" des WKO in der Aula des Bildungscampus.

Info: Der Kalender und alle Infos, auch zu Anmeldungen und Eintrittspreisen, unter www.bund-der-folgenlosen.de/ 

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