Praxen wappnen sich für den Notfall
Für Corona-Infizierte könnte es "Schwerpunktpraxen" geben - Einsätze im Krankenhaus denkbar

Von Sören S. Sgries
Stuttgart. Nicht nur in den Kliniken im Land, auch in den Arztpraxen bereiten sich die Mediziner auf den Höhepunkt der Corona-Erkrankungen vor. Die Ärzteverbände zeigen sich dabei höchst alarmiert, wie ein Rundschreiben der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) an Haus- und Kinderärzte im Land sowie ein Offener Brief des Virchowbunds zeigen. "Es ist an der Zeit, Lösungen zu finden", mahnt der Vorsitzende des Virchowbundes, Dirk Heinrich, in seinem Schreiben an bundesweit rund 144.000 Haus- und Fachärzte.
Was sind die Erwartungen? Die Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung, Norbert Metke und Sebastian Fechner, sprechen von einer "Extremsituation", in der man sich befinde. Über 10.000 positiv auf Sars-CoV-2 Gestetete seien schon in der kommenden Woche in Baden-Württemberg zu erwarten – am Mittwochabend lag die Zahl schon bei 7252. "Um das medizinische System vor dem Kollaps zu bewahren, müssen wir die ambulante Versorgung mit allen Kräften auf die absehbare Katastrophe vorbereiten", so der Appell.
Was können die Haus- und Kinderärzte in dieser Lage leisten? Laut KVBW kommt den niedergelassenen Allgemeinmedizinern und Pädiatern "eine maßgebliche Filterfunktion" zu. Sie seien die erste Anlaufstelle für Patienten. Sie müssten steuern, wo und wie Patienten – ob mit Corona-Verdacht oder ohne – betreut werden.
Kommen Covid-19-erkrankte Patienten nicht sowieso in die Kliniken? Nicht, solange es nicht notwendig ist. Derzeit erfolgt üblicherweise zunächst die Isolierung in den eigenen vier Wänden, wenn es den Verdacht einer Infektion gibt.
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Und wo wird das entschieden? Im Idealfall entscheidet derzeit das zuständige Gesundheitsamt nach einem Telefonat, wie sich Menschen zu verhalten haben, die fürchten, am Coronavirus erkrankt zu sein. Das Gesundheitsamt kann auch einen Corona-Test veranlassen – im Idealfall in einem der neuen "Abstrich-Zentren". Die Kassenärztliche Vereinigung wirbt dafür, dass beispielsweise in Turnhallen oder Schulen weitere solcher von ihr "Fieberambulanzen" genannten Einheiten aufgebaut werden, in denen auch Haus- und Kinderärzte untersuchen, gegebenenfalls Abstriche machen und "je nach Krankheitsbild entweder in die Häuslichkeit oder in stationäre Krankenhausbehandlung" verweisen.
Wer übernimmt die Versorgung von Corona-Patienten zuhause? Eigentlich müssten die niedergelassenen Ärzte die Grundversorgung übernehmen. Der Virchowbund fürchtet allerdings, dass der Hausbesuch rein zeitlich schon bald nicht mehr machbar sein könnte. Die Überlegung daher, die auch die KVBW unterstützt: "Schwerpunktpraxen" in jeder Region könnten sich auf die Betreuung von Corona-Patienten konzentrieren. "Das reduziert Infektionsmöglichkeiten, schont Ressourcen und spart Schutzausrüstung", meint Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbundes. Das medizinische Personal muss sich zwar weiter schützen – aber es begegneten sich im Wartezimmer wenigstens keine Patienten mit und ohne Corona-Infektion. Auch bei Hausbesuchen würden die Helfer nur zwischen sowieso infizierten Haushalten wechseln.
Was ist mit (chronisch) kranken Patienten, die zu einem anderen Facharzt müssen? Auch hier schlägt der Virchowbund vor, bei den spezialisierten Praxen in einer Region zu trennen: Die eine betreut nur noch Corona-freie Patienten, die andere ausschließlich Infizierte. Je nach Bedarf könnte die Betreuung auch auf spezielle Zeiträume, etwa zwei Vormittage in der Woche, beschränkt werden.
Müssten niedergelassene Ärzte auch in den Kliniken aushelfen? Über diese Möglichkeit denkt jedenfalls Dirk Heinrich vom Virchowbund nach. "Sollte es zu Zuständen wie in Norditalien kommen, werden in den Krankenhäusern relativ rasch Kolleginnen und Kollegen ausfallen und auch bis zu 30 Prozent des Pflegepersonals", schreibt er. Um Ersatz zu schaffen, regt er an, vor Ort "Notfallpläne" aufzustellen: Die fachärztliche ambulante Versorgung könnte auf einige Praxen reduziert werden. Andere wären damit "für den Dienst im Krankenhaus freigestellt". Die Vorbereitungen dafür sollten schnellstmöglich beginnen.



