Die rechtsextreme Szene im Land wird kleiner, aber radikaler

Das zeigen die Ergebnisse eines Regierungsberichts für die NSU-Enquete - In Baden-Württemberg sind demnach noch 1800 Rechtsradikale aktiv

11.09.2014 UPDATE: 11.09.2014 06:00 Uhr 1 Minute, 58 Sekunden
Waffenfund bei Rechtsextremisten. Foto: dpa
Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Wie sehen die Strukturen der rechtsextremen Szene im Land aus? Gibt es weitere Tötungsdelikte, die dem Spektrum zugerechnet werden müssen? Wie steht es um die Gesinnung in den Behörden? Viele Fragen hat die NSU-Enquete-Kommission Innenminister Reinhold Gall (SPD) zugesandt - nun liegen die Antworten in Form eines knapp 80-seitigen Regierungsberichts vor. Der enthält, mit Verweis auf einen früheren Bericht zu den Verbindungen des NSU-Mordtrios ins Land und auf die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts, nichts Neues zum Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter - aber neue Erkenntnisse zur rechten Szene insgesamt.

Danach ist die Anzahl der Rechtsextremisten seit der Wiedervereinigung stark zurückgegangen - im Land noch stärker als bundesweit: Hatten die Verfassungsschützer 1993, der Hochzeit, im Südwesten noch über 7000 Personen diesem Spektrum zugerechnet, sind es heute noch 1800.

Der Bericht warnt jedoch vor voreiligen Schlussfolgerungen: "Die Szene wurde zwar personell deutlich kleiner, aber im Durchschnitt auch jünger, aktiver und extremismusintensiver." Tendenziell würden sich eher ältere, passive Personen aus dem Milieu verabschieden. "Die ,weichen' Ränder schmolzen weit stärker als der harte Kern. Der blieb und ist phasenweise entgegen der allgemeinen Gesamttendenz gewachsen", beschreibt der Bericht die Radikalisierung der rechte Szene im Südwesten.

Der quantitative Rückgang hat mit dem Niedergang der "Republikaner" zu tun, deren damals 2500 Mitglieder im Land 1993 erstmals in die Statistik mit aufgenommen wurden - ein Jahr nach ihrem Einzug in den Landtag, den sie 1996 wiederholten. Doch fortan ging es mit der Partei bergab, 2006 zählte sie noch 900 Mitglieder, seit 2010 wird sie vom Verfassungsschutz nicht mehr beobachtet - und nicht mehr in der Statistik geführt.

Angesichts der "tendenziell eher geringen Extremismusintensität" der Republikaner, so der Bericht, habe die Szene damit aber "nichts von ihrem harten Kern verloren". Es sei nur "ein großes Stück vom Rand abgebrochen". Heute sei die NPD "die mit Abstand mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei". Deren Mitglieder hätten oft einen "hohen Fanatisierungsgrad". Die NPD habe im Land zwar nur 410 Mitglieder, aber die stärkste Jugendorganisation bundesweit und Querverbindungen zu extrem gewaltbereiten Neonazis. Die Szene dominiert nun ein harter Kern aus NPD und Neonazis: Ihnen wird heute knapp die Hälfte des Spektrums zugerechnet, 1993 waren es noch weniger als 15 Prozent.

Dass die rechte Szene vor Waffengewalt nicht zurückschreckt, macht eine aufwändige Sonderauswertung deutlich. Danach werden dem Spektrum seit 1991 mindestens 218 fremdenfeindlich oder antisemitisch motivierte Straftaten zugerechnet, bei denen eine Schusswaffe, ein Baseballschläger oder ein abgeschlagener Flaschenkopf zum Einsatz kamen. Die Dunkelziffer dürfte weit größer sein, sie lässt sich wegen datenschutzrechtlicher Löschungen relevanter Dokumente nicht mehr erhellen.

Klar ist aus Sicht des Ministeriums, dass dem Spektrum keine alten Mordfälle neu zugeschrieben werden müssen. Nach Medienberichten sollen bundesweit 137 Tote mehr auf das Konto von Rechtsextremisten gehen als offiziell ausgewiesen, davon fünf im Südwesten. Die Polizei im Land hat nun sogar 359 Todesdelikte überprüft. Dies, so der Bericht, habe aber in keinem Fall zu einer Neubewertung geführt.

Nachdem zwei Polizeibeamte Kontakte zum rassistischen Ku-Klux-Klan hatten, hat Gall auch "Vorkommnisse mit rechtsradikalen Tendenzen" bei der Polizei abgefragt: Seit 2002 gab es 32 Vorfälle. Dies seien "nicht zu tolerierende Einzelfälle". Bei 30.000 Polizisten lasse sich daraus sicher keine grundsätzliche Tendenz schließen, heißt es.

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