Grüne wollen Baden-Württemberg zum Klima-Musterland machen
"Wir stehen am Scheideweg" - Jubiläumsparteitag im September

Eine "radikal andere Politik" fordern nicht nur die Aktivisten der Klimabewegung "Fridays for Future" - hier auf einer Demo in Stuttgart - , sondern auch die Südwest-Grünen. Gleichzeitig warnt Ministerpräsident Kretschmann davor, zu "moralisierend" aufzutreten. Foto: S. Gollnow
Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Auf ihrem Jubiläumsparteitag, der 40 Jahren nach der Gründung der Grünen am 21. und 22. September in Sindelfingen stattfindet, will die Regierungspartei nicht nur in Nostalgie schwelgen. Vielmehr soll der Blick nach vorn gehen: Nichts weniger als "Baden-Württembergs grünen Weg ins klimaneutrale und fossilfreie Zeitalter" will die Partei laut dem Leitantrag des Landesvorstands aufzeigen.

Grünen-Chefin Sandra Detzer. Foto: hen
"Baden-Württemberg soll Klima-Musterland werden", erklärt Grünen-Landeschefin Sandra Detzer. "Neue Produkte sollen bis spätestens 2040 gänzlich ohne schädliche Treibhausgase auskommen. Und wir werden dafür sorgen, dass wir für alte Produkte, die die Vorgaben noch nicht erfüllen, den CO2-Ausstoß kompensieren." Dies könne etwa durch Aufforstung geschehen.
"Unser Ziel sind aber nicht Kompensationen. Wir wollen, dass Benzin, dass Heizöl, dass Kerosin ersetzt wird durch umweltfreundliche Formen der Energieerzeugung." Als erstes Bundesland würde Baden-Württemberg damit das Ziel ausgeben, spätestens 2040 klimaneutral zu sein und komplett auf den Gebrauch fossiler Energieträger wie Erdöl zu verzichten.
"Wir stehen am Scheidepunkt", beschwört das Papier, das am Freitag den Delegierten zugehen soll, dringenden Handlungsbedarf. Um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, brauche es "eine radikal andere Politik". Die könne auch der Wirtschaft nutzen und den Wohlstand sichern: "Wer heute innovative Klimaschutztechnik entwickelt, ist der Marktführer von morgen." Der Bedarf an emissionsarmen Antrieben, an klimafreundlichen Produktionstechniken oder an Wärmedämmung werde weltweit steigen.
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Kurzum: Klimaschutz sei "der Markt der Zukunft", versucht der Entwurf nicht nur den radikalen Anspruch der Fridays-for-Future-Demonstranten zu bedienen, sondern auch, der bürgerlichen Mitte die Angst vor Einbußen zu nehmen. "Klimaschutz ist längst keine Nische für Ökofuzzis mehr, sondern ein Innovationstreiber für die gesamte Gesellschaft", sagt Detzer.
Geht es nach der größeren Regierungspartei im Land, wird der Wandel alle Bereiche erfassen - vom Bau, über den Verkehr bis zur Landwirtschaft. So sollen alle Baumaßnahmen auf ihre Klimaverträglichkeit hin überprüft, alle Gesetze darauf abgeklopft werden. Landesbehörden und Landesunternehmen sollen Vorbild sein und die ausgegeben Ziele teils deutlich vor 2040 erreichen: Landes- und Kommunalverwaltungen müssen demnach bis 2030 "weitgehend", landeseigene Unternehmen und Landesbeteiligungen bis zum Jahr 2035 komplett "CO2-neutral arbeiten".
Ein Ansatzpunkt ist die Landwirtschaft. Investitionshilfen sollen dafür sorgen, dass 90 Prozent der anfallenden Gülle gasdicht gelagert und verstärkt in Biogasanlagen eingesetzt werden. Ein zentraler Fokus gilt dem Verkehr, der für knapp ein Drittel aller Treibhausgase in Baden-Württemberg verantwortlich ist.
"Ab 2025 soll jede Kommune im Land zwischen 5 und 24 Uhr mindestens stündlich" mit einem öffentlichen Verkehrsmittel erreichbar sein, heißt es im Leitantrag. Diese "Mobilitätsgarantie" soll für eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 sorgen. Zudem sollen 20 stillgelegte Bahnstrecken reaktiviert, 500 Ortsmitten verkehrsberuhigt und die Infrastruktur für E-Autos so ausgebaut werden, dass 2030 mindestens jedes dritte Auto im Land klimaneutral fährt.
"Entgegen mancher Kritik ist Klimaschutz zutiefst sozial. Denn der Klimawandel trifft zuerst die Leute, die an den vielbefahrenen Einfallstraßen in stickigen Zimmern wohnen und nicht den gutverdienenden SUV-Fahrer auf dem Killesberg mit Penthouse und Klimaanlage. Und wenn wir den Blick weiten, dann trifft es zuerst die Menschen in Bangladesch, denen der steigende Meeresspiegel die Lebensgrundlagen raubt", sagt Detzer.
Auch deshalb müsse Baden-Württemberg ein Signal setzen, "dass wir Vorreiter sein wollen. Wir machen das im Wissen, dass die EU und die Bundesregierung ihre Maßnahmen für den Klimaschutz dramatisch beschleunigen müssen", spielt die Landeschefin den Ball weiter. "Kerosin, Diesel und Benzin richtig besteuern und Bahnfahren attraktiver und billiger machen: Diese Kombination würde den Klimaschutz enorm voranbringen, dafür kann aber nur der Bund sorgen."