Wie realistisch ist Klimaneutralität mit "grünem Wasserstoff"?
Wasserstoff-Erzeugung ist nicht in großem Umfang möglich. Aber die Nutzung des Energieträgers ist für die Erreichung der Klimaziele notwendig.

Von Theo Westermann, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Der "grüne Wasserstoff", mit erneuerbaren Energien gewonnener Wasserstoff, ist der größte Hoffnungsträger auch der Landesregierung. Ohne Wasserstoff ist keine Klimaneutralität zu erreichen, die das Land mit einem Zwischenschritt bis 2035 im Prinzip bis 2040 anstrebt. Doch sind diese Träume auch gerechtfertigt? Wo stecken die Probleme und was kann eine Landesregierung überhaupt bewegen – und was nicht?
Welche konkreten Maßnahmen plant die Landesregierung, um den Wasserstoffhochlauf zu fördern? Aktuell laufen laut einer Auskunft der Landesregierung an die nachfragende FDP 94 Projekte mit Bezug zu Wasserstoff und Brennstoffzellen, die an Hochschulen in Baden-Württemberg gefördert werden. Die beiden größten Projekte sind am KIT in Karlsruhe das Vorhaben "TransHyDE" zum Transport und der Anwendung von flüssigem Wasserstoff (Fördersumme 11,8 Millionen Euro) und der Sonderforschungsbereich CataLight an der Universität Ulm (Fördervolumen 10 Millionen Euro).
Wo soll der Wasserstoff eigentlich herkommen? Ein Großteil des deutschen und somit auch des baden-württembergischen Wasserstoffbedarfs wird langfristig durch Importe abgedeckt werden müssen, ist die Landesregierung überzeugt, und sieht sich damit im Einklang mit der Nationalen Wasserstoffstrategie. Diese geht für 2030 von einem gesamtdeutschen Wasserstoffbedarf von 90 bis 110 Terrawattstunden (TWh) aus, dem eine avisierte Erzeugungskapazität von 14 TWh grünen Wasserstoffs gegenübersteht. Die neue Bundesregierung hat das Ausbauziel für Erzeugungskapazitäten von 5 Gigawatt auf 10 Gigawatt erhöht. Damit ließen sich ungefähr 30 TWh Wasserstoff erzeugen. Eine genaue Prognose über die Entwicklung der Erzeugungskapazitäten in Baden-Württemberg wagt die Landesregierung nicht.
Bei einem von der FDP initiierten Forum des Landtagsauschusses für Umwelt und Energie zum Thema Wasserstoff sahen die Fachleute die Frage der Importnotwendigkeit ähnlich. Frithjof Staiß, Vorstand des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung, betont: "Den allergrößten Teil werden wir importieren müssen." Aber: Dennoch sei eine Erzeugung vor Ort auch von Bedeutung. Er sehe eine Nutzung von Wasserstoff allerdings eher in der Industrie und im Verkehr. Außerdem appellierten die Experten für Technologieoffenheit und einen anwendungsoffenen Ordnungsrahmen.
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Woher soll der Strom aus erneuerbaren Quellen kommen, um damit in Baden-Württemberg Wasserstoff zu erzeugen? Baden-Württemberg wird auch in Zukunft ein Energieimportland bleiben, betonte die Landesregierung in ihrer Stellungnahme. Dies gilt auch für Strom. Angesichts des Ausstiegs aus der Atomenergie und der Reduzierung der fossilen Energieerzeugung bedürfe es "eines ambitionierten Ausbaus der erneuerbaren Energieerzeugung in Baden-Württemberg".
Dennoch wird Baden-Württemberg angesichts des steigenden Strombedarfs auch bei Wärme und Verkehr und gegebenenfalls zur Erzeugung von Wasserstoff einen steigenden Importbedarf von Strom haben. Christoph Luschnat, Leiter Energiepolitik bei terranets bw, prophezeit zudem: "Wir gehen davon aus, dass trotz der Gaskrise der Bedarf an Gas eher steigen wird". So müssten Gaskraftwerke die Kohle- und Atomkraftwerke ersetzen. terranets bw ist eine Tochter der EnbW und ein Fernleitungsnetzbetreiber.
Wie begründet ist die Hoffnung auf sogenannten "grünen Wasserstoff"? Hier gibt es von Fachleuten durchaus bittere Pillen. "Wir werden es nicht schaffen, nur mit grünem Wasserstoff die benötigte Menge bis 2030 bereitzustellen", so Frank Graf, Bereichsleiter Gastechnologie beim Engler-Bunte-Institut des KIT. "Grüner Wasserstoff" wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Dafür wird Strom aus erneuerbaren Energiequellen verwendet, also C02-frei. Doch auch "blauer Wasserstoff" könne emissionsarm erzeugt werden. Graf appellierte an die Politiker, "nicht schon im Vorfeld zu sagen, was wir alles nicht machen wollen". "Blauer Wasserstoff" entsteht aus der Dampfreduzierung von Erdgas. Dabei wird das Gas in Wasserstoff und CO2 gespalten, das CO2 gelagert. Norwegen gilt als ein zentraler Anbieter.
Welches Potenzial ist für die Wirtschaft drin? Der Schwerpunkt der baden-württembergischen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Industrie liegt auf der Herstellung von Komponenten und Teil-Systemen mit einem geschätzten Umsatzpotenzial von etwa 8,6 Milliarden Euro, so die Einschätzung der Landesregierung. Durch Demonstrationsprojekte, Technologietransfer und Innovationsförderung soll dieses Potenzial erschlossen werden. Laut einer Studie könnte so bis 2030 im Wasserstoff- und Brennstoffzellensektor eine Bruttowertschöpfung in Höhe von 2,3 Milliarden Euro entstehen, mit 16.500 Arbeitsplätzen. Die längerfristigen Potenziale werden als noch höher angesehen. "Auch kleinere und mittlere Unternehmen bauen sich Geschäftsfelder auf," ist Frithjof Staiß überzeugt.
Wie sieht es mit dem Ausbau vor allem der Leitungs- und Pipelinekapazität aus? Der Betrieb der bestehenden Erdgasnetze unterliegt der staatlichen Regulierung. Für den Neubau und den Betrieb von Wasserstoffnetzen sowie die Umstellung von Erdgasnetzen auf Wasserstoff besteht im Energiewirtschaftsgesetz eine Übergangsregelung. Es muss nun auf die Neuregelungen des Bundes zum Bau und Betrieb von Wasserstoffleitungen gewartet werden. Zu den Voraussetzungen für eine Umstellung bestehender Erdgasnetze gibt es Aktivitäten der Netzbetreiber. Bei den Ferngasleitungen planen sie eine schrittweise Errichtung eines Wasserstoff-Fernleitungsnetzes mit europäischer Anbindung.
So verweist Christoph Luschnat von terranets bw auf den Bau, beziehungsweise Planung von zwei Pipelines in Baden-Württemberg und Hessen, nämlich die Süddeutsche Erdgasleitung SEL und die Spessart-Odenwald-Leitung. Sie sind bereits ausgelegt auf Wasserstoff. Allerdings mache es keinen Sinn, diese Leitungen dann ab erwarteter Fertigstellung 2030 gleich ganz auf Erdgas auszulegen. Der entscheidende Satz von Luschnat dabei: "Wir könnten sofort umstellen, wenn bis dahin Wasserstoff ausreichend zur Verfügung steht".



