Baden-Württemberg

Wie bis 2030 ein Drittel Autos raus aus den Städten soll

Verkehrsminister Hermann im RNZ-Interview zu seinen Umwelt-Zielen

07.06.2019 UPDATE: 08.06.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 22 Sekunden

Stau auf der A 8 bei Stuttgart: Bis 2030 will Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann die Zahl der Pkw reduzieren. F.: dpa

Von Axel Habermehl, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Der Grünen-Politiker Winfried Hermann (66) ist seit 2011 baden-württembergischer Verkehrsminister.

Herr Hermann, welchen Beitrag kann der Verkehr im Land zum Klimaschutz leisten?

Im Moment leistet er gar keinen Beitrag. Im Gegenteil: In den letzten 30 Jahren ist der Treibhausgas-Ausstoß des Verkehrssektors angestiegen, eigentlich hätte er deutlich sinken müssen. Deshalb ist höchste Alarmstufe. Wir müssen endlich Maßnahmen ergreifen, das zu ändern.

Das Ziel lautet, 2030 ganze 40 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 im Verkehr auszustoßen. Wie soll das gehen?

Das geht nur mit erheblichen Veränderungen und Anstrengungen. Wir haben fünf ambitionierte Eckpunkte erarbeitet: Bis 2030 muss doppelt so viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren werden wie heute, jedes dritte Auto muss klimaneutral fahren, in Städten müssen ein Drittel weniger Autos fahren, jeder zweite Weg unter fünf Kilometern muss mit eigener Körperkraft - ob zu Fuß, per Rad oder Tretroller - zurückgelegt werden, und schließlich muss jede dritte Tonne Fracht klimaneutral transportiert werden.

Auch interessant
Fridays for Future: "Heidelbergs Klimaziele sind nicht ambitioniert" (plus Video)
Kommt die CO2-Steuer?: Koalitionsstreit um den Klimaschutz
Faktencheck: Nützt ein Tempolimit auf Autobahnen der Umwelt?

Mit Verlaub, diese Ziele sind nicht ambitioniert, sondern unrealistisch.

Wenn das unrealistisch ist, dann ist Klimaschutz nicht zu machen. Ich glaube, es ist sehr anspruchsvoll, aber machbar.

Winfried Hermann. Foto: dpa

Wie wollen Sie denn in elf Jahren den öffentlichen Verkehr verdoppeln?

Natürlich muss er ausgebaut werden. Statt einfache Busse verlängerte Gelenkbusse, Stadtbahnen mit zwei Traktionen und S-Bahnen den ganzen Tag über in Lang-Traktionen. Aber natürlich brauchen wir auch neue Strecken, mehr elektrifizierte Trassen und Schnellbus-Linien. Aber vor allem brauchen wir Firmen, die Jobtickets fördern und Menschen, die vom Auto auf die Öffentlichen umsteigen.

Für viele Bürger ist das Auto die beste Lösung. Wie wollen Sie etwa massenhaft Pendler überzeugen?

Wir bauen den Schienenverkehr massiv aus. Das Angebot wird etwa mit neuen Metropolexpresszügen immer attraktiver. Im Raum Stuttgart haben wir durch eine Tarifreform die Preise deutlich gesenkt. Aber klar: Wenn wir das Klima effektiv schützen wollen, geht es nicht ohne Veränderungen. Jeder Einzelne hat seinen Beitrag zu leisten.

Ein Drittel weniger Autos? Nur durch Anreize und Vernunft-Appelle?

In Städten soll weniger Auto gefahren werden. Das ist vor allem Aufgabe der Kommunalpolitik. Es gilt dafür zu sorgen, dass statt Parkplätzen Raum zum Verweilen und Fuß- und Radwege entstehen. Das Auto hat unsere Städte massiv verändert, beansprucht riesige Flächen. Die große Debatte der nächsten Jahre wird sein: Wie viel Raum wird dem Auto, zugunsten anderer Verkehrsformen oder auch einfach für mehr Lebensqualität, entzogen?

Für viele Menschen ist es auch Lebensqualität, einkaufen zu fahren.

Zum Klimaschutz gehört, dass jeder sich bewusst macht: Was ist sein Beitrag zum Klimaschaden, wie kann er ihn verringern und trotzdem gut leben? Das muss keinen Verlust an Lebensqualität bedeuten. Das jetzige System mit Stau und Luftverschmutzung ist doch keine Freude mehr. Es gibt Alternativen, etwa Carsharing oder E-Car2Go.

Sie wollen auch den Fracht-Transport verändern. Durch Internet-Handel entsteht aber viel mehr Verkehr. Wie passt das zusammen?

Sich Dinge über Nacht liefern zu lassen, ist eine Konsum-Unkultur. Die meisten Sachen braucht man nicht am nächsten Tag, und wenn doch, hat man schlecht geplant. Es gibt zu viele Menschen, die nicht darüber nachdenken, welchen Transport-Aufwand und Klimaschaden sie damit verursachen. Die muss man aufklären. Kurzfristig muss dieser "kleine" Transport elektrifiziert und intelligenter gesteuert werden. Da gibt es kluge Ideen, etwa von Start-Ups, die die letzte Meile bündeln und zum Teil mit Lastenrädern übernehmen.

Letzte Meile schön und gut: Aber auf den Autobahnen stauen sich Lkw.

Ja, weil man über Jahrzehnte die Modernisierung des Schienen-Güterverkehrs vernachlässigt hat. Der befindet sich technisch im 19. Jahrhundert. Wir brauchen hier eine Modernisierung und Digitalisierung. Das kommt langsam, aber zu spät. Ich plädiere für eine 20-Jahres-Offensive. Dann könnten wir Transport auf die Schiene verlagern. Aber nur mit Zügen geht es nicht. Wir müssen den LKW-Verkehr elektrifizieren.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.