Mehr Distanz zum Bürger wegen zahlreicher Übergriffe?
Gemeindetags-Chef Kehle: Agressives Verhalten bereitet in Behörden zunehmend Sorgen

Stuttgart. (lsw) Ein Faustschlag, eine Beleidigung, eine Drohung: Die zunehmende Zahl von Angriffen auf Amtsträger und Mitarbeiter öffentlicher Ämter führt aus Sicht des Präsidenten des Gemeindetags Baden-Württemberg dazu, dass sich Bürgerbüros und Rathäuser abschotten. In der Vergangenheit habe man dort Barrieren wie Tresen abgebaut, um näher am Bürger zu sein, sagte Roger Kehle in Stuttgart. Nun würden aber die Mitarbeiter in den Rathäusern angegangen und bedroht. "Jetzt wissen wir von den Ersten, die sagen: ,Wir brauchen da wieder eine Theke, damit zumindest ein gewisser Abstand gewahrt ist’", sagte Kehle. "Das ist eine schreckliche Entwicklung."
Angriffe und Aggressionen würden nicht nur Bürgermeister betreffen, sagte Kehle. Häufig seien Mitarbeiter in Behörden wie Rathäusern, Bau- und Ordnungsämtern das Ziel. Bei einer Umfrage des Gemeindetags unter 386 Kommunen hätten 2017 rund 60 Prozent der Mitgliedsstädte berichtet, aggressives Verhalten gegenüber Politikern und Mitarbeitern öffentlicher Stellen habe zugenommen. Dabei unterschieden sich Ballungsräume und ländliche Gebiete kaum.
Selbst Kindertagesstätten und Schulsekretariate sind demnach betroffen. Und vielfach schwappe die Wut auf die Familie über. Kinder von Entscheidungsträgern würden schon im Kindergarten angegangen, sagte Kehle: "Kritik kann doch nicht so weit gehen, dass ich die Familie in Sippenhaft nehme - da hört es auf."
Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) Anfang Juni hatte Debatten über rechte Gewalt, Hasskommentare und Angriffe auf Amtsträger befeuert. Lübcke war auf der Terrasse seines Wohnhauses in Hessen mit einer Schussverletzung am Kopf gefunden worden. Er starb wenig später.
Auch im Südwesten sind Politiker immer wieder Hass und Gewalt ausgesetzt. Im ersten Quartal erfasste die Polizei 17 Straftaten gegen sie. Das geht aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine CDU-Anfrage hervor. Das Landeskriminalamt zählte im vergangenen Jahr im Südwesten 160 Fälle, bei denen Amts- und Mandatsträger Opfer von politisch motivierten Straftaten geworden sind. 81 Angriffe kamen den Anzeichen nach von rechts, 28 Angriffe von links. Das Landeskriminalamt (LKA) hat deshalb eine Anlaufstelle eingerichtet, bei der sich Amts- und Mandatsträger telefonisch beraten lassen können.
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Kehle führt die Aggression auf zunehmende Egoismen in der Gesellschaft zurück. Auch wenn einige den raueren Umgangston auch durch den Aufstieg der AfD verantwortlich machen: Die AfD habe damit aus seiner Sicht weniger zu tun. "Das wäre zu viel Ehre für diese Partei".
Natürlich nähmen Mandatsträger eine andere Stellung ein: "Jeder, der sich zur Wahl stellt, muss sich darüber im Klaren sein, dass man mehr aushalten können muss als andere", sagte Kehle. "Aber wir müssen mal darüber reden, wo denn da die Grenze ist." Kehle hatte vor wenigen Wochen einen neuen Straftatbestand für das Stalking von Politikern, also für das Nachstellen, gefordert. Man müsse den Bedrohungen, Verleumdungen, Beleidigungen nachgehen.



