Baden-Württemberg

Kretschmann und seine vage Andeutung

Durch die angespannte Lage auf dem Gasmarkt ringen Land und Bund um Millionenbeträge. Dabei steht der drittgrößte deutsche Gasimporteur, die EnBW-Tochter VNG, im Fokus.

07.07.2022 UPDATE: 07.07.2022 06:00 Uhr 3 Minuten
Die EnBW-Tochter VNG AG hat 2021 einen Jahresumsatz von 18,5 Milliarden Euro ausgewiesen. Die Politik im Bund und im Land bemühen sich seit Wochen hinter den Kulissen, den Gasimporteur abzusichern. Foto: dpa

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Auf Fragen von Journalisten zu kritischen Themen reagiert Ministerpräsident Winfried Kretschmann oft mit dem Hinweis, er könne die Angelegenheit nicht bewerten oder habe sich noch nicht mit ihr befasst. In einer besonders heiklen Angelegenheit äußerte sich der Grünen-Politiker am Dienstag in der wöchentlichen Regierungspressekonferenz dagegen überraschend offen. Auf die Frage, ob denn das Karlsruher Energieunternehmen EnBW und seine Tochter VNG für eine Gasmangellage gerüstet seien, sagte er: Man habe für die VNG "erst mal eine Lösung gefunden". Nähere Auskünfte könne sein Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) geben.

Doch auf Nachfrage bittet das Finanzministerium um Verständnis, dass man sich nicht äußern könne. Kein Wunder: Bayaz sitzt für das Land Baden-Württemberg, das 46,75 Prozent der Anteile hält, im Aufsichtsrat der börsennotierten EnBW und darf als solcher keine heiklen Betriebsinterna ausplaudern.

Hat sich Kretschmann also verplappert? "Die Landesregierung ist im Austausch mit der Bundesregierung über die angespannte Situation am Gasmarkt. Dabei wurden auch unterschiedliche Stabilisierungsmaßnahmen diskutiert. Auch VNG ist als Gasimporteur von Kürzungen betroffen, ist aber nicht im Bestand gefährdet. Darauf bezog sich die Aussage", versucht das Staatsministerium einen Tag später, die Aussage einzuordnen.

Die 1990 gegründete VNG mit Sitz in Leipzig hat 2021 einen Jahresumsatz von 18,5 Milliarden Euro ausgewiesen. Seit Ende 2015 hält die ENBW 74,21 Prozent der Anteile an der VNG AG, die heute der drittgrößte deutsche Gasimporteur ist und damit das, was man in Zeiten drohenden Gasnotstands als systemrelevant bezeichnen könnte. Der größte deutsche Importeur von russischem Gas, Uniper mit Sitz in Düsseldorf und im Besitz des finnischen Fortum-Konzerns, steht im öffentlichen Fokus. Die Berliner Ampelkoalition arbeitet an einer Vielzahl von Gesetzesänderungen, um den Zusammenbruch des Gasversorgungssystems zu verhindern. So soll sich der Bund in Kürze an strauchelnden Gasimporteuren wie Uniper beteiligen können; bei der im Raum stehenden Teilverstaatlichung von Uniper geht es um Milliardenbeträge.

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Das Problem von Uniper: Der Importeur hat langfristige Gas-Bezugsverträge mit Russland, bekommt seit dem 16. Juni aber nur noch 40 Prozent der dort bestellten Gasmengen. Seither muss Uniper das fehlende Erdgas zu einem Vielfachen des früheren Preises anderswo nachkaufen, um weiterhin deutsche Stadtwerke und Regionalversorger zum vereinbarten Preis beliefern zu können. Diesen finanziellen Kraftakt kann das Unternehmen ohne staatliche Hilfe nicht mehr stemmen, wie es vor wenigen Tage selbst bekannt gegeben hat. Zumal sich das Problem noch potenzieren könnte: Vom 11. bis 21. Juli ist die Jahresrevision der Pipeline Nord Stream I geplant. Die Bundesregierung befürchtet, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den Gashahn danach zugedreht lässt. Für diesen Fall rechnet etwa die Deutsche Bank in ihrem jüngsten Konjunkturbericht mit dem Sturz in eine "tiefe Rezession". Nach Berechnungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle wären die negativen Effekte im Ländervergleich für Baden-Württemberg am gravierendsten.

Nach Recherchen der RNZ bemüht sich die Politik hinter den Kulissen seit Wochen auch darum, die VNG abzusichern. Denn die ENBW-Tochter, die deutschlandweit Stadtwerke und Industriekunden beliefert und ihren Kernmarkt in den neuen Bundesländern hat, hat einen Teil ihres russischen Gases über eine Tochtergesellschaft der Gazprom Germania, der Wintershall Erdgas Handelshaus, bezogen. Die Gazprom Germania steht seit April unter Treuhandschaft der Bundesnetzagentur und wird von Russland sanktioniert. VNG macht keine Angaben dazu, ob und in welchem Umfang sie unter reduzierten Liefermengen aus Russland leidet. Zu Mehrkosten, die Ersatzbeschaffungen auslösen würden, teilt die ENBW-Tochter mit: "Auswirkungen auf die VNG kommentieren wir derzeit nicht."

Es soll nach Informationen der RNZ eine direkte Zusage der Bundesregierung an die VNG geben, dass die Ersatzbeschaffung bis Jahresende sichergestellt werde. Im Vorfeld soll der Bund auch auf das Land Baden-Württemberg Druck ausgeübt haben, sich an möglichen Rückbürgschaften zu beteiligen. Schließlich stütze man so indirekt auch ein Unternehmen mit starkem Baden-Württemberg-Bezug. Ende Juni, als die Stuttgarter Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) intern in Kretschmanns Kabinettssitzung die Gasproblematik thematisiert hat, soll sich auch Bayaz zu Wort gemeldet haben: Der Bund, so geben ihn Teilnehmer der Sitzung wieder, stehe beim Land mit Forderungen auf der Matte.

Nach Recherchen dieser Zeitung sollte sich das Land nach den Vorstellungen des Ressorts von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit einem hohen dreistelligen Millionenbetrag an einer Rückbürgschaft beteiligen. Für den Landeshaushalt wäre das ein enormes Risiko gewesen. Ob am Ende das Stuttgarter Argument, die Gasversorgung sei von nationalem Interesse, oder der Hinweis, dass eine so hohe Bürgschaft vom Wirtschaftsausschuss des Landtags genehmigt werden müsse, mehr überzeugt haben, muss mangels Auskunftsbereitschaft der beteiligten Ministerien in Stuttgart und Berlin dahingestellt bleiben. Jedenfalls steht nun offenbar die Bundesregierung allein für Maßnahmen zur Stabilisierung der VNG gerade. Darauf deutet auch Kretschmanns Hinweis auf eine "vorläufige Lösung" hin. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Der Bund kann im Falle einer fortgesetzten Gasmangellage im neuen Jahr erneut beim Land vorstellig werden.

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