Grünen-Fraktionschef lehnt Aufnahmestopp von Flüchtlingen ab
Andreas Schwarz über die Unterbringung Geflüchteter aus der Ukraine, Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet und eine Investitionsklausel als Ergänzung der Schuldenbremse.



Fraktionschef de Grünen in Baden-Württemberg
Von Roland Muschel
Stuttgart. Andreas Schwarz, 43, jongliert viele Bälle. Gespräche und Interview in Stuttgart, anschließend zurück nach Kirchheim an der Teck, die Tochter kommt an diesem Tag in die 5. Klasse. Schließlich weiter nach Berlin, zur Klausur seiner Fraktion. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wird eine der Gäste sein. Der Krieg in der Ukraine treibt alle um - und hat auch Auswirkungen aufs Land.
Die Flüchtlingszahlen erreichen Rekordwerte, Sporthallen werden zu Notunterkünften umfunktioniert, Kommunen rufen um Hilfe. Bereitet Ihnen die Entwicklung Sorgen?
Baden-Württemberg hat in diesem Jahr bereits mehr als 125.000 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen, dazu kommen Asylsuchende aus anderen Ländern. Damit liegen wir bereits über den Zahlen der Jahre 2015 und 2016. Trotzdem läuft es viel besser als damals. Das ist eine große Gemeinschaftsleistung. 2015 gab es große Diskussionen, die gibt es momentan nicht.
Die Kommunen sagen: Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.
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Ich sehe natürlich, vor welchen großen Aufgaben die Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten stehen. Deshalb unterstützen wir sie mit einem neuen, 80 Millionen Euro schweren Programm zur Schaffung von Wohnraum für Flüchtlinge. Wir stimmen gerade die Details für diesen ‚Sonderscheck‘ für die Kommunen zum Wohnungsbau ab. In wenigen Tagen kann es losgehen.
Die Kommunen sagen: 80 Millionen Euro werden nicht ausreichen.
Sollten die Mittel ausgeschöpft werden, können wir über ein Nachfolgeprogramm reden. Ich halte es aber für notwendig, dass sich der Bund stärker einbringt. Es geht ja nicht nur um die Bereitstellung von Wohnraum, sondern auch um die Finanzierung von Integrationsmanagern oder Sprachförderung für Kinder und Jugendliche.
Sie fordern einen Flüchtlingsgipfel?
Wir brauchen mehr als das. Die Aufnahme und Integration Geflüchteter wird die gesamte Bundesrepublik in den nächsten Jahren enorm beschäftigen. Wir benötigen deshalb eine kontinuierliche Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die Probleme werden erst kleiner, wenn der Krieg gegen die Ukraine endet. Das ist der Schlüssel. Ich halte daher weitere Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine für notwendig.
Ihr Koalitionspartner CDU kritisiert, dass die Geldleistungen für Geflüchtete aus der Ukraine, die über denen für Asylsuchende aus anderen Ländern liegen, eine Sogwirkung hätten.
Diese Schlussfolgerung greift zu kurz. Deutschland hat entschieden, die Menschen, die vor Putins brutalem Angriffskrieg fliehen, nach einem anderen Verfahren aufzunehmen als Asylsuchende aus anderen Ländern. Das halte ich für absolut richtig. Dieser sogenannte Rechtskreiswechsel führt in der Tat zu höheren Leistungen. Er ermöglicht es Geflüchteten aus der Ukraine aber auch, hier zu arbeiten und frei eine Wohnung zu wählen. Deshalb konnten so viele privat unterkommen und die Integration so gut gelingen.
Nordrhein-Westfalen hat mit einem Aufnahmestopp gedroht, für Baden-Württemberg hat Justizministerin Marion Gentges (CDU) ein solches Signal nicht ausgeschlossen.
Ein Aufnahmestopp kommt für mich nicht infrage. Menschen, die vor diesem brutalen Angriffskrieg fliehen, werden auch künftig in Baden-Württemberg Schutz finden und ein Dach über dem Kopf bekommen. Das ist unsere humanitäre Pflicht.
Themenwechsel: Die Beratungen zum Doppelhaushalt 2023/24 sind auf der Zielgeraden. Welche Punkte sind noch offen?
Wir haben die Spielräume weitgehend ausgereizt. Jetzt geht es mir in erster Linie darum, die Rücklagen für Risiken gegen weitere Wünsche zu verteidigen. Derzeit kann niemand seriös sagen, was nächstes Jahr passiert. Deshalb müssen wir Vorsorge für steigende Kosten bei der Energie, bei der Inflation oder bei geringeren Steuereinnahmen treffen. Das sind die zentralen Punkte, die mich bei der Haushaltsplanung leiten.
Was sind die anderen Punkte?
Mir war außerdem wichtig, dass wir ein Digital- und ein Klimaschutzpaket auf den Weg bringen. Wir wollen die Genehmigungen für Windkraftanlagen, für Baumaßnahmen und andere Behördengänge beschleunigen, indem wir sie ins digitale Zeitalter überführen. Auch bei der Digitalisierung der Schulen machen wir Tempo. Für dieses Paket stellt die Koalition 150 Millionen Euro bereit, für das Klimaschutzpaket knapp 100 Millionen Euro. Damit wollen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen. Mein dritter Punkt ist Bildung, das ist ein großer Investitionsschwerpunkt. Wir finanzieren 700 neue Pädagogen. Davon 500 Lehrerinnen und Lehrer sowie 200 pädagogische Assistenten. Wir führen auch 1165 Stellen für die Sprachförderung von Geflüchteten weiter, die sonst weggefallen wären. Ich könnte die Liste noch fortsetzen.
Für den Grünen-Landesparteitag am 24. und 25. September liegt ein Antrag vor, die Schuldenbremse ad acta zu legen und ein Sondervermögen für den Klimaschutz zu schaffen. Was halten Sie davon?
Die Schuldenbremse sagt ja erst einmal: Der Staat darf nicht jedes Jahr nach Belieben neue Schulden machen. Das finde ich richtig. Dadurch ist die Schuldenbremse auch ein Kennzeichen einer nachhaltigen und generationengerechten Finanzpolitik. Ich bin aber offen für eine Diskussion darüber, ob man die Regelungen zur Schuldenbremse im Grundgesetz um eine Investitionsklausel ergänzt. Damit könnten für einen bestimmen Anteil an Investitionen Kredite aufgenommen werden, zum Beispiel für die Modernisierung des Schienennetzes, aber nicht für laufende Kosten.
Was ist mit einem Sondervermögen für den Klimaschutz?
Wir brauchen mehr Investitionen in den Klimaschutz. Der Weg über ein Sondervermögen ist der falsche. Ein Sondervermögen entzieht sich der parlamentarischen Kontrolle, schon deshalb sehe ich das skeptisch. In Hessen hat der Verfassungsgerichtshof diesem Instrument einen Riegel vorgeschoben.
Kritiker einer strikten Haushaltsdisziplin in Ihrer Partei argumentieren, dass eine schwarze Null wenig Sinn mache, wenn wir unseren Kindern eine kaputte Umwelt hinterlassen.
Wir können unsere Klimaziele über neue Regelungen erfüllen. Noch in diesem Jahr werden wir das Klimaschutzgesetz updaten, das da nochmal richtig Tempo reinbringt. Wir investieren schon jetzt unheimlich viel in den Klimaschutz. Denken Sie nur an das neue, knapp100 Millionen Euro schwere Klimaschutzpaket oder die 50 neuen Stellen für eine Solaranlagen-Offensive auf den Liegenschaften des Landes. Die Kritiker vergessen manchmal auch, dass Kredite keine Schenkungen sind. Kredite muss man zurückzahlen, sie kosten hohe Zinsen.
Der Bund hat ein 65 Milliarden Euro schweres Entlastungspaket vorgelegt, das das Land mitfinanzieren muss. Wie bewerten Sie die Pläne?
Für das Entlastungspaket habe ich Lob und Tadel. Lob für den Fokus auf die Entlastung von kleinen und mittleren Einkommen. Und Tadel für den Verkehrsbereich, da springt der Bund viel zu kurz. Wenn wir vom Bund keine höheren Regionalisierungsmittel für den ÖPNV bekommen, muss das Land Züge abbestellen. Das kann niemand ernsthaft wollen. Deshalb muss der Bund hier dringend nachbessern. Noch ein Punkt: Die Aussetzung des CO2-Preises finde ich fragwürdig, denn das wird Investitionen in Ressourcen- und Energieeffizienz und moderne Technologien hemmen.