BaWü-Check

"Das Boot ist voll"-Denken nimmt zu

40 Prozent der Befragten sehen Aufnahmekapazitäten erschöpft. Insbesondere die Zuwanderung von Nicht-Ukrainern nährt die Sorgen.

19.06.2023 UPDATE: 19.06.2023 21:00 Uhr 3 Minuten, 12 Sekunden
Die Lilli-Gräber-Halle in Mannheim-Friedrichsfeld ist derzeit als Notunterkunft eingerichtet. Foto: vaf

Von Sören S. Sgries

Heidelberg. So zuversichtlich zeigten sich die Baden-Württemberger lange nicht mehr: 34 Prozent der Befragten blickten im aktuellen "BaWü-Check", der gemeinsamen Umfrage der baden-württembergischen Zeitungsverlage, mit Hoffnungen in die Zukunft. Der Anteil der Skeptiker ist auf 28 Prozent gesunken. Weitere 22 Prozent hegen Befürchtungen. Damit ist die "Ukraine-Delle", die seit dem russischen Angriff messbar war, vorerst überwunden (siehe Grafik). Aber an anderer Stelle, bei der Flüchtlingspolitik, ist dafür die Stimmung gekippt, wie die repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zeigt, durchgeführt bei 1002 Personen im Zeitraum vom 30. Mai bis 7. Juni 2023.

> Besorgte Bürger: Eine deutliche Mehrheit der Befragten zeigt sich über die "derzeitige Flüchtlingssituation" besorgt – und zwar 33 Prozent mit großen Sorgen, 45 Prozent mit "etwas". Unbeschwert zeigten sich nur 18 Prozent. Mit Blick auf den eigenen Freundes- und Bekanntenkreis meint zudem mehr als die Hälfte (53 Prozent), die Sorge nehme in diesem Umfeld zu. Schaut man in die Altersstruktur, ist die Einschätzung weitgehend ähnlich – mit einer Ausnahme: Die Jüngeren (18-29 Jahre) zeigen sich deutlich unbesorgter als die älteren Kohorten. Hier haben nur 16,8 Prozent große, aber 27,8 Prozent keine Sorgen haben.

> Fehlende Kapazitäten: Verstärkt lässt sich ein "Das Boot ist voll"-Denken feststellen. So meinen 40 Prozent, in Baden-Württemberg könnten gar keine Flüchtlinge mehr aufgenommen werden. Weitere 32 Prozent glauben, dass "nur wenige" noch untergebracht werden könnten. Auch hier sind es wieder die Jüngeren, die höhere Aufnahmekapazitäten erwarten: Nur 20,5 Prozent der 18- bis 29-Jährigen, halb so viele wie in der Gesamtbevölkerung, sagen, man könnte keinen mehr aufnehmen. Bemerkenswert die Nachfrage nach dem eigenen Ort, der näheren Umgebung: Hier sagen 48 Prozent, es könne niemand mehr aufgenommen werden – ein deutlich Anstieg im Vergleich zum November 2022, als der Wert noch bei 27 Prozent lag (siehe Grafik).

> Kleine Orte, größere Sorgen: Erschöpfte Aufnahmekapazitäten sehen übrigens insbesondere die Bewohner in den kleineren Dörfern (56 Prozent), wohingegen bei den Großstädtern nur 43 Prozent diese Einschätzung teilen. Eine Rolle spielt dabei auch die Frage, wie man bisher das "Flüchtlingsmanagement" der eigenen Gemeinde erlebte. Wenn dieses als eher gut erlebt wurde, meinen nur 27 Prozent, dass eine weitere Aufnahme vor Ort nicht mehr zu leisten sei. Bei denen, die eine überforderte Kommune mit größeren Problemen erleben, sagen hingegen 67 Prozent: mehr geht nicht.

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Dass ihre Gemeinde sich mit der aktuellen Flüchtlingslage schwertut, das glaubt eine Mehrheit von 42 Prozent. 39 Prozent hingegen sagen, "alles in allem" bewältige ihre Kommune die Lage gut.

> "Zur Wehr setzen": Leider etwas unscharf gefragt wurde danach, ob man sich "zur Wehr" setzen würde, wenn in der näheren Umgebung eine große Flüchtlingsunterkunft gebaut würde. Wie das aussehen würde? Petition an den Gemeinderat? Demonstration? "Klebeaktion" am Bauplatz? Oder gewalttätige, rassistische Randale? Das wurde nicht erfragt. Grundsätzlich sagen aber 41 Prozent der Befragten, dass sie ein solches Projekt akzeptieren würden, 32 Prozent wollen sich "zur Wehr setzen", 27 Prozent sind unentschieden (siehe Grafik).

Bemerkenswerte Details: Bei den Männer würden mehr als bei den Frauen die Entwicklung akzeptieren (43 zu 37 Prozent). Zur Wehr setzten wollen sich aber jeweils rund 32 Prozent – bei den Frauen geben sich aber deutlich mehr unentschieden (31 Prozent; Männer: 24). Der größte Widerstand käme zudem aus der Altersklasse der 45- bis 59-Jährigen: 42,5 Prozent wollen sich wehren. Höchste Akzeptanz gibt es bei den Jungen (59,6 Prozent), gefolgt von den 30- bis 44-Jährigen (44,9) und der Gruppe Ü-60 (39).

> Keine Unterbringung in Turnhallen: Die Zustimmung zu solchen Notunterkünften (wie sie auch unser Foto zeigt) hat nachgelassen. Noch im November 2022 sagte eine relative Mehrheit von 44 Prozent, eine solche Nutzung bei Bedarf sei in Ordnung, 38 Prozent widersprachen. Inzwischen hat sich das Verhältnis gedreht: 49 Prozent sind dagegen, 35 Prozent akzeptieren das.

> Bisher relativ wenig Einschränkungen: Nur rund ein Viertel der Befragten (26 Prozent) berichtet von persönlichen Nachteilen durch die Flüchtlingssituation. 63 Prozent sagen, sie hätten noch keine Einschränkungen erlebt. 11 Prozent sind unentschieden.

> Sicherheitsgefühl: 33 Prozent der Befragten fühlen sich an ihrem Wohnort "wegen der Flüchtlinge" weniger sicher, 51 Prozent erleben das nicht so. Bei denen allerdings, die angeben, schon persönliche Nachteile erfahren zu haben, sind 65 Prozent verunsichert.

> Urteil über die Landespolitik: Grundsätzlich bleibt die Einschätzung recht kontant: 54 Prozent sehen die Arbeit kritisch (November ’22: 49 Prozent), Lob kommt von 24 Prozent (Nov. 27). Konfrontiert mit verschiedenen Aussagen über den Flüchtlinge und den Umgang mit ihnen, bekommt vor allem die Kritik an der Abschiebepraxis des Landes hohe Zustimmungswerte von 66 Prozent (siehe Grafik).

Besonderen Sprengstoff bergen hier aber zwei weitere Zahlen. Zum einen beklagen 39 Prozent, sie hätten "öfters den Eindruck, dass die Landesregierung das Wohl der Flüchtlinge über das Wohl der Menschen in Baden-Württemberg stellt". Hier steigt die Zustimmung mit zunehmendem Alter von 32,7 Prozent (Unter-30-Jährige) bis auf 43 Prozent (Ü60). Und es stimmen vor allem Frauen zu: nämlich 44 Prozent im Vergleich zur 34 Prozent bei den Männern.

Unterschieden wird offenbar auch zwischen ukrainischen und "anderen" Geflüchteten: So sagt jeder Dritte (33 Prozent), dass die eigenen Sorgen über die Flüchtlingssituation steige, "seit nicht mehr vor allem Flüchtlinge aus der Ukraine zu uns kommen". Hier stimmen aus der U30-Gruppe 21,1 Prozent zu, bei den Ü60-Jährigen aber 42,5 Prozent.

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