Lars Castellucci hält Olaf Scholz als Kanzlerkandidat für "genial"
Bundestagsabgeordneter Lars Castellucci will die CDU auf die Oppositionsbank schicken - "Eine dritte Große Koalition halte ich sogar für gefährlich"

Von Sören S. Sgries
Heidelberg. Seit 2013 sitzt Lars Castellucci (46, Foto: Koehler/photothek) für die SPD im Bundestag. Auch 2021 möchte er wieder im Wahlkreis Rhein-Neckar antreten, kündigte der Wieslocher gegenüber der RNZ an. Zuletzt machte Castellucci Schlagzeilen, als er im Herbst 2018 versuchte, baden-württembergischer SPD-Landeschef zu werden – und knapp scheiterte.
Herr Castellucci, acht Jahre im Bundestag sind Ihnen nicht genug. Sind Sie noch nicht zufrieden?
Sozialdemokraten sind ja nie zufrieden. Wir wollen immer noch etwas besser machen.
Warum treten Sie noch einmal an?
Wir leben in einer Zeit großer Umbrüche – international, der Klimawandel, in der Arbeitswelt. Corona kam noch dazu. All das lösen wir nicht alleine, sondern nur zusammen. Das ist eine Kernkompetenz der SPD, für den Zusammenhalt im Inneren zu sorgen und für gute Beziehungen zu unseren Nachbarn. Und als Sprecher für Migration und Integration in dieser Legislaturperiode bin ich ja gewissermaßen "der Sprecher für gutes Zusammenleben". Da möchte ich gerne weitermachen.
Sie machen Ihre Entscheidung erst öffentlich, nachdem mit Olaf Scholz auch der SPD-Kanzlerkandidat feststeht. Weil Sie gerne für ihn Wahlkampf machen wollen?
Meine Entscheidung ist davon unabhängig. Ich hatte es aber nicht besonders eilig. Ich bin Abgeordneter und nicht Kandidat. Ich will auch in dieser Legislatur noch viel erreichen. Es ist aber genial, dass Olaf Scholz antritt. Ich habe mich sehr dafür eingesetzt. Die aktuelle Lage im Land, mit einer gewissen Orientierungslosigkeit, verlangt nach Menschen, die Erfahrung haben, die Verlässlichkeit ausstrahlen. Das ist bei Olaf Scholz absolut der Fall. Er bringt alles mit, was unsere Zeit erfordert.
Als SPD-Kandidat im Wahlkreis direkt gewählt zu werden, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Welchen Listenplatz haben Sie im Blick?
Die Wahlen zum Bundestag entscheiden die Wähler. Die Listen zum Bundestag werden von unseren Delegierten auf dem Landesparteitag entschieden. Ich kann auf eine gute Arbeit in den letzten vier Jahren verweisen. Die Wahlkreisarbeit macht mir großen Spaß. In jedem Dorf treffe ich Leute, die auf der Straße auf mich zukommen. Es macht mir große Freude, helfen zu können, und ich hoffe, dass man das auch merkt.
Stephan Harbarth, 2017 im Wahlkreis Rhein-Neckar für die CDU als Direktkandidat gewählt, ist inzwischen Verfassungsrichter, tritt also nicht an. Ein Vorteil für Sie, weil Sie jetzt der bekannte Bundestagsabgeordneter sind?
Ja, das sollte man aber auch nicht überschätzen. In Wiesloch war ich 15 Jahre im Gemeinderat, habe viele ehrenamtliche Initiativen gestartet, beispielsweise eine Bürgerstiftung initiiert oder einen Tafelladen mitbegründet. Selbst dann kennen einen nicht alle. Viele Menschen beschäftigen sich nicht die ganze Zeit damit, was ihr Abgeordneter tut, ihr eigenes Leben ist in der Regel beanspruchend genug. Bekanntheit und Vertrauen brauchen Zeit und müssen wachsen. Ich denke, es ist gut, dass ich nach acht Jahren als Abgeordneter weiter für Stabilität stehe.
Wie viel Prozent sind denn Ihre Zielmarke für die SPD?
Die SPD muss so stark werden, dass sie die Chance hat, mit anderen zusammen die Regierung zu übernehmen. Ein Ergebnis gut in den 20ern traue ich der SPD zu.
Und dann soll es ein Linksbündnis geben?
Mein Wunsch ist eine starke SPD. Danach muss man gucken, was rechnerisch möglich ist. Wenn es mehrere Optionen gibt, geht es darum, wo die Schnittmengen am größten sind.
Sie haben recht früh Gesprächskanäle zur Linkspartei aufgebaut und gepflegt. Haben die Bestand – gerade auch in dieser Zeit, wo dort eine neue Führung gesucht wird?
Ja, gerade jetzt. Parteien bestehen nicht nur aus Führungen. Die Gesprächskanäle sind weiter offen. Dass die Jamaika-Koalitionsgespräche 2017 gescheitert sind, hatte auch mit mangelndem Vertrauen der Beteiligten zu tun. Deswegen muss man am Vertrauen arbeiten. Das machen wir. Es gibt mit der Linken ein paar Knackpunkte – gerade in der Außenpolitik. Man muss aber auch Projekte haben, auf die man Lust hat, für die man in eine gemeinsame Regierung gehen will. Die sehe ich bei einem Mitte-Links-Bündnis eher als in anderen Konstellationen.
Die dritte Große Koalition in Folge ginge dann nur als Notlösung?
Ich halte das sogar für gefährlich. Große Koalitionen sollten in Demokratien der Ausnahmefall sein. Demokratie lebt vom Wechsel, Demokratie lebt von Unterschieden. Wir müssen für mehr Leben in der Demokratie sorgen – und das kann ich mir unter einer Großen Koalition nicht vorstellen. Die CDU kann sich aus meiner Sicht gerne auf der Oppositionsbank regenerieren. Die Kandidierenden dort, für Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur, überzeugen mich nicht.
Ihr zentrales Arbeitsfeld, Integration und Migration, war das zentrale Konfliktfeld in der Koalition. Inzwischen herrscht Ruhe. Oder täuscht das?
Die Menschen können erwarten, dass man sich in so einer Koalition zusammenrauft. Das haben wir hinbekommen. Und wir haben Erfolge vorzuweisen: Obwohl die Probleme weltweit anhalten, haben wir eine sehr stark gesunkene Anzahl von Asylanträgen, die Verfahren laufen ordentlich. Über die Hälfte der Geflüchteten, die seit 2013 zu uns gekommen sind, ist in Arbeit oder Ausbildung. Wir haben ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet, das eine Antwort auf den demografischen Wandel gibt und Menschen Alternativen zur Flucht bietet. Und wir sind zweitgrößtes Geberland für humanitäre Hilfe weltweit.
Und was soll eine neue Regierung da noch liefern?
Ich bin der Auffassung, dass Arbeit, Sprache, Begegnung, Integration vom ersten Tag an stattfinden müssen – selbst wenn Menschen wenig Chancen auf eine Anerkennung im Asylverfahren haben. Daran müssen wir ganz intensiv weiterarbeiten. Hinzu kommt: Es sterben weiter Menschen auf dem Mittelmeer. Die Zustände in den Camps – ich war zuletzt auf Lesbos – sind für Europa unwürdig. Da muss man nicht nur etwas dran ändern wollen, da muss man der Motor für Veränderung sein.
Die Zeit der ausgeglichenen Haushalte scheint durch das Corona-Virus beendet. Wie soll eine künftige Regierung mit einbrechenden Steuereinnahmen umgehen?
Ich bin ein Fan von ausgeglichenen Haushalten. Das hat etwas mit Nachhaltigkeit zu tun: Wir sollten nachkommende Generationen nicht in ihren Möglichkeiten einschränken. Das gute Wirtschaften unter Finanzminister Olaf Scholz führt jetzt dazu, dass wir in der Krise wirklich mit Wumms dagegenhalten können. Ich hoffe, wir schaffen es, die Folgen abzufedern – auch sozial, beispielsweise mit der Kurzarbeiter-Regelung.
Muss der Staat sich nach 2021 über höhere Steuern das Geld wieder zurückholen?
Es muss über Entlastungen gesprochen werden: Ich weiß nicht, warum selbst jemand, der nur den Mindestlohn verdient, gleich 15 Prozent Steuern zahlen muss. Auch den Spitzensteuersatz erreicht man schon sehr schnell – man muss da kein Einkommensmillionär sein. Aber bei den Menschen mit den höchsten Einkommen müssen wir fragen, was sie beitragen können. Das kann über Steuern gehen oder über Sonderabgaben etwa für Bildung oder Digitalisierung. Da kann man viele Wege diskutieren. Ein gutes Beispiel ist der Solidaritätszuschlag: Ich finde es gut und längst nötig, dass wir beschlossen haben, dass ab dem nächsten Jahr 90 Prozent der Menschen keinen Solidaritätszuschlag mehr zahlen müssen und so entlastet werden. Bei den obersten 10 Prozent ist das nicht nötig.