Grünen-Staatssekretärin Brantner verteidigt Kompromiss mit RWE
Die Heidelberger Bundestagsabgeordnete erteilte dem Fracking in Deutschland eine Absage.



(MdB) parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschafts- und Energieministerium
Von Daniel Bräuer
Heidelberg. Franziska Brantner sitzt seit 2013 für die Grünen im Bundestag. 2021 gewann sie im Wahlkreis Heidelberg-Weinheim erstmals das Direktmandat. In der Ampel-Koalition ist die 43-Jährige seither parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschafts- und Energieministerium von Robert Habeck.
Frau Brantner, laut Umfragen ist der Optimismus für 2023 sehr gebremst. Wie ist es bei Ihnen?
Wir haben immer noch einen furchtbaren Krieg in Europa mit all seinen Konsequenzen, die uns auch ‘23 noch vor große Herausforderungen stellen. Aber im Rückblick ist es wichtig festzustellen, dass wir es geschafft haben, uns von russischem Gas unabhängig zu machen und die Speicher zu füllen. Entgegen einiger Befürchtungen ist die Wirtschaft nicht zusammengebrochen und wir kommen allen Anzeichen nach gut durch diesen Winter. Das ist aber kein Zufall, sondern das Ergebnis harter Arbeit. Daher bin ich optimistisch, dass wir es auch 2023 gut hinbekommen.
Eine Bundesregierung mit grüner Beteiligung fährt Kohlekraftwerke hoch, verlängert Akw-Laufzeiten, investiert in Gas, exportiert massiv Waffen … Fühlen Sie sich im falschen Film?
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Wir hätten uns alle eine andere Ausgangslage gewünscht, in der in den letzten Jahren der Ausbau der Erneuerbaren vorangetrieben worden wäre. Leider waren wir in der Situation nicht. Für die kurzfristige Überbrückung hatten wir energiepolitische Entscheidungen zu treffen, die wir ohne einen Krieg in Europa und ohne die vorherigen Versäumnisse nicht hätten treffen müssen. Natürlich war es ein schwieriges Jahr. Aber wir stehen weiterhin eng an der Seite der Ukrainer und bringen endlich die Transformation und den Ausbau der Erneuerbaren schnell voran. Das ist der Unterschied, den wir ausmachen.
Die Lieferverträge mit der arabischen Halbinsel sind durchaus langfristig angelegt.
Die Verträge haben unterschiedliche Laufzeiten und werden von den Unternehmen verhandelt. Wichtig ist es, aber insgesamt die Weichen so zu stellen, dass Lock-in-Effekte vermieden werden. Und wir sorgen dafür, dass eine neue Wasserstoffinfrastruktur ready für grünen Wasserstoff gebaut wird. Damit wir bis spätestens 2045 klimaneutral sind.
Klimaaktivistin sagen: Von einem Autokraten zu anderen – das ist kein großer Gewinn!
Das ist nicht richtig, wir importieren Gas jetzt vor allem aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. Es geht darum, ein diverses Portfolio aufzubauen, wo man nicht von einem Lieferanten übermäßig abhängig ist, sondern aus vielen internationalen Quellen Gas bezieht. Wir haben schließlich gesehen, wohin einseitige Abhängigkeiten führen.
Aus den USA kommt Fracking-Gas. Es gibt Stimmen, dass auch Deutschland diese Methode nicht mehr kategorisch ausschließen sollte. Wird das die nächste Kehrtwende 2023?
Wir müssen uns schon darauf einigen, was uns wichtig ist. Wenn Sie sagen, 15 Jahre ist zu lang für den Bezug von Gas – German Fracking dauert Jahre, bis man es in der Planung und dann in der Förderung hätte. Und das sind Milliardeninvestitionen, das baut man nicht für eine eng begrenzte Zeit. Von daher ist es richtig und konsequent zu sagen, dass wir diese neue fossile Struktur nicht aufbauen.
Während wir sprechen, läuft in Lützerath die Räumung. Eine Landesregierung mit grüner Wirtschaftsministerin, grünem Umweltminister schickt die Polizei gegen Klimaschützer los, um die Interessen von RWE durchzusetzen. Skurril, oder?
Lützerath ist der letzte Ort, der wegen der Braunkohle im Rheinischen Revier weichen muss. Lützerath ist also gerade nicht das Symbol für weiter so beim Braunkohletagebau, es ist der Schlussstrich. Wir ziehen den Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre auf 2030 vor. Gesetzlich und verbindlich. Fünf Ortschaften und Höfe mit rund 450 Bewohnern bleiben zudem nun erhalten.
Wie viele solcher Verrenkungen wird die Partei noch klaglos mitmachen? Ist die Kompromissbereitschaft irgendwann erschöpft?
Der um acht Jahre vorgezogene Kohleausstieg 2030 in NRW ist nun garantiert. Das ist ein Erfolg und keine Verrenkung. Es ist nicht so, dass wir uns vor der Debatte scheuen, die Vereinbarung mit RWE unterstützt auch die Mehrheit des Parteitages. Im ersten Regierungsjahr konnten wir, was die Erneuerbaren angeht, die größte energiepolitische Reform seit Jahrzehnten beschließen, damit beschleunigen wir den Ausbau massiv.
Langfristig setzen wir auf wasserstofffähige Kraftwerke. Wir bringen jetzt auch gesetzlich die Digitalisierung voran, um unser Energiesystem flexibler zu machen, Stromerzeugung und –verbrauch intelligenter zu verknüpfen. Ich bin optimistisch, dass wir 2023 weitere wichtige Weichen für den Klimaschutz stellen.
Was glauben Sie, wie sich Gruppen wie die "Letzte Generation" weiter entwickeln werden?
Es ist wichtig, dass es zivilgesellschaftliche Akteure gibt, die Druck für konsequenten Klimaschutz machen. Das muss friedlich passieren. Ansonsten sind wir als Bündnispartei schon immer mit zahlreichen Akteuren in regem Austausch. Natürlich hat man als Regierungspartei da eine andere Rolle.
Die bringt Sie in NRW in direkte Opposition zu den Bewegungen…
Nein, wir haben unterschiedliche Rollen in derselben Sache. Wir müssen die Chancen nutzen, die wir als Regierung haben, den Klimaschutz voranzubringen. Gerade arbeiten wir an dem Energieeffizienzgesetz, um wirkungsvolle Rahmenbedingungen für eine effizientere Energienutzung zu schaffen. Das ist gar nicht trivial in einer Koalition. Und insbesondere im Verkehrsbereich müssen wir endlich vorankommen. Da haben wir noch ein großes Defizit bei der CO2-Reduktion. Darauf müssen wir unsere Energie setzen.
Wie stabil ist die Koalition zu Beginn ihres zweiten Jahres?
Wir haben als Dreierkoalition mit unterschiedlichen Perspektiven das letzte Jahr angesichts von Krieg und Krisen gut gemeistert und es zudem geschafft, wichtige Zukunftsvorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen.
Aber der Zauber des Anfangs ist verflogen?
Es war auch kein Jahr, in dem man übers Zaubern redet. Wir konnten in vielen Bereichen eine starke Kraft entfalten, um Knoten zu lösen, die diese Gesellschaft seit Jahren gelähmt haben. Dass es mal Meinungsverschiedenheiten gibt zwischen drei Parteien – so ist es, bei schwierigen Fragen und in schwierigen Zeiten.
Hat sich bei den Themen Klima, Energie und Umwelt dann doch die erwartete Frontstellung SPD/Grüne und FDP ergeben?
Nein. Wir haben es neben dem Turnaround beim Ausbau der Erneuerbaren etwa geschafft, Klimaschutz und Handelspolitik zusammenzubringen.
Wird in einem Jahr 2023 weniger chaotisch gewesen sein als 2022?
Wir hatten keine leichten Startbedingungen. Jetzt haben wir eine andere Grundlage, auf der wir 2023 angehen können – und ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen, unseren Wohlstand zu erneuern.