Ausmaß des Skandals noch nicht abschätzbar
Verfahren gegen hessischen Polizisten - Weitere Fälle befürchtet

Von Anne-Béatrice Clasmann und Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Nach der Affäre um rechtsextreme Chats von Polizeibeamten in Nordrhein-Westfalen mehren sich die Rufe nach grundlegenden Reformen, um entsprechende Tendenzen bundesweit zu unterbinden. Zwar ist die Zahl der zuletzt in NRW, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg festgestellten Rechtsextremismus-Fälle in Relation zu insgesamt rund 300.000 Polizisten klein. Die Tatsache, dass der wohl schon seit Jahren andauernde Austausch von menschenverachtenden Nazi-Inhalten eher zufällig aufgeflogen ist, zeigt aber, dass über das tatsächliche Ausmaß letztlich nur Mutmaßungen möglich sind.
Unterdessen ist gegen einen 41-jährigen hessischen Polizisten am Donnerstag ein Ermittlungsverfahren wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen und der Bestechlichkeit angelaufen. Der Beamte des Polizeipräsidiums Frankfurt soll für eine private Sicherheitsfirma aus Nordrhein-Westfalen gearbeitet haben, ohne sich diese Nebentätigkeit genehmigen zu lassen, teilten die Staatsanwaltschaft Frankfurt und das hessische Landeskriminalamt (LKA) mit. Außerdem bestehe der Verdacht, dass der 41-Jährige unrechtmäßige Abfragen aus polizeilichen Datenbanken durchgeführt hat, um sich mit diesen Informationen persönlich zu bereichern. Dem Polizeibeamten sei als Konsequenz verboten worden, seine Dienstgeschäfte weiter durchzuführen. Außerdem sei ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet worden.
NRW-Innenminister Herbert Reul fürchtet weitere Fälle. Das ganze Ausmaß rechtsextremer Chatgruppen sei noch nicht absehbar, erklärte der CDU-Politiker. Er sei kein Prophet, der immer alles schon wisse, sagte Reul auf die Frage, ob er mit der Aufdeckung weiterer Vergehen rechne. "Ich hoffe, es entwickelt sich nicht zu sehr weiter", erklärte er. "Wir werden das aufarbeiten, radikal, bis ins kleinste Detail", kündigte er an. Es handele sich "um eine Abscheulichkeit, wie ich sie nicht für möglich gehalten hätte", so Reul.
Bisher stehen in NRW 30 Polizistinnen und Polizisten unter Verdacht, an den Chatgruppen beteiligt gewesen zu sein. Unter den Bildern, die dort geteilt wurden, sind laut Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) Fotos von Adolf Hitler und die fiktive Darstellung eines Flüchtlings in einer Gaskammer.
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Innenminister Horst Seehofer (CSU) zeigt sich schockiert: "Diese Vorgänge sind völlig inakzeptabel. Herbert Reul hat das einzig Richtige gemacht und die betroffenen Beamten suspendiert. Wer sich im rechtsradikalen Spektrum bewegt, chattet, Thesen übernimmt oder Ähnliches, hat weder beim Bund noch beim Land in einer öffentlichen Position etwas verloren." Da sei er kompromisslos.
Im Frühsommer hatte Seehofer das Bundesamt für Verfassungsschutz beauftragt, ein Lagebild zu Rechtsextremismus und Rassismus in den Sicherheitsbehörden zu erstellen. Dafür hat die Behörde in den Ländern seither Informationen zu entsprechenden Disziplinarverfahren und strafrechtlich relevanten Vorgängen abgefragt. Das Lagebild werde bis Ende September fertiggestellt, heißt es im Bundesministerium. Später soll es eine umfassendere Studie zu Rechtsextremismus und Rassismus im öffentlichen Dienst geben. Wer die erstellen soll und wonach dann genau gefragt wird, steht noch nicht fest.
Die Grünen dringen schon lange auf eine wissenschaftliche Polizei-Studie. Um herauszufinden, ob sich statistisch gesehen mehr Rechtsradikale bei der Polizei bewerben als anderswo. Sie fordern, unabhängige Polizeibeauftragte auf Landes- und Bundesebene – wie in Schleswig-Holstein.
Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, warnte vor einem generellen Vertrauensverlust in die Arbeit der Polizei und Sicherheitsbehörden. Es müsse bis in die letzte Dienststelle klar sein, dass rechtsextremes Gedankengut und rechtsextremes Handeln keinen Platz habe und mit aller Konsequenz verfolgt werde.



