Parteitags-Wochenende

"Wir wollen nicht meckern, wir wollen machen"

CDU präsentiert neue Generalsekretärin - Palmer-Debatte überschattet Grünen-Parteitag

09.05.2021 UPDATE: 10.05.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 50 Sekunden
„Grasgrün“ sei der Koalitionsvertrag, verspricht Winfried Kretschmann ambitionierten Klimaschutz. Foto: Marijan Murat

Von Sören S. Sgries, RNZ Stuttgart

Stuttgart/Heidelberg. Ein bisschen muss man sich dieses Parteitags-Wochenende vorstellen wie die Bundesliga, letzter Spieltag: Alle Teams stehen zeitgleich auf dem Platz. Nicht nur das eigene Ergebnis zählt, sondern auch, was in anderen Stadien läuft. So auch an diesem Samstag, als parallel die Landes-Parteitage von Südwest-Grünen und CDU zusammenkommen. Gemeinsames Thema: der grün-schwarze Koalitionsvertrag. Und beide Veranstaltungen finden überwiegend digital statt, nur wenige Akteure sind in der Messe Stuttgart (CDU) oder der Phoenixhalle (Grüne), alle anderen schauen am Bildschirm zu. Auch Journalisten – teilweise mit beiden Parteitreffen zeitgleich auf dem Schirm.

Als CDU-Parteichef Thomas Strobl am Samstagmorgen vor die Kamera tritt, hat er die Aufmerksamkeit noch für sich allein – die Grünen starten etwas später. Knallig orange das Bühnenbild, man kennt es schon aus dem Wahlkampf. Ein Wahlkampf, den der Parteichef eher vom Seitenrand begleitete – Spitzenkandidatin war Susanne Eisenmann, Kultusministerin, seit der Wahlklatsche (24,1 Prozent) abgetaucht. Jetzt ist Strobl der Frontmann. Sein guter Draht zum Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, so die Erzählung, rettete die CDU in die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen. Das disziplinierte.

Doch jetzt steht der Vertrag. Der Druck von außen fällt ab – und im Parteiinneren beginnt es zu rumoren. Das weiß Strobl – und nimmt meisterlich den Kritikern den Wind aus den Segeln.

Eine personelle Erneuerung wird gefordert? Weil Strobl (61), Agrarminister Peter Hauk (60) und Ex-Fraktionschef Wolfgang Reinhart (65) offenbar sichere Plätze im Kabinett haben? Der Parteichef überrumpelt die Kritiker – und ruft ein unbekanntes Gesicht auf die Bühne. Isabell Huber, Landtagsabgeordnete aus Neckarsulm, seit 2019 im Parlament, Mutter einer kleinen Tochter, 33 Jahre alt. "Jetzt werden Sie vielleicht sagen: Die ist aber jung. Das kenne ich schon", schmunzelt Strobl mit Blick auf seinen bisherigen "General", Manuel Hagel, 32 Jahre alt, der jüngst an die Spitze der Landtagsfraktion wechselte.

Aber gab es nicht auch Gerüchte, Strobl wolle sich selbst mit einem Trick im Amt des Parteichefs halten? Indem er den turnusmäßigen Wahlparteitag unmittelbar vor die Bundestagswahl legt, um so ein besseres Wahlergebnis für sich zu erzwingen? "Eines sage ich ganz klar: Dieser Landesparteitag wird nach der Bundestagswahl stattfinden", geht er in die Offensive. Auch eine Aufarbeitung der Wahlkampffehler verspricht er, im Herbst. "Die Regierungsbeteiligung wird keinesfalls als Feigenblatt für unsere Probleme dienen." Innerparteiliches Krisenmanagement abgehakt.

Doch eigentlich soll es ja um etwas anders gehen: den Koalitionsvertrag. Strobl spart nicht an Kritik am Koalitionspartner. "Ziemlich breitbeinig aufgetreten" seien die Grünen. "24,1 Prozent waren nicht die beste Verhandlungsgrundlage." Aber hätte die CDU andere Möglichkeiten gehabt? "Regieren bedeutet gestalten", beschwört der Vize-Regierungschef eine grün-schwarze Alternativlosigkeit herauf. "Wir wollen nicht meckern, wir wollen machen."

Zeitgleich tritt in einer anderen Halle Winfried Kretschmann ans Rednerpult. Schon optisch auffällig: Die Grünen-Führung liefert allein durch die Kulisse ein 100-prozentiges Bekenntnis zum Vertrag. Die Wald-Fototapeten im Hintergrund – sie prangen ähnlich als Titelblatt auf dem 162-Seiten-Werk, oder? In der CDU-Kulisse musste man "Jetzt für Morgen", die Überschrift, schon genau suchen.

Und auch inhaltlich geht der Ministerpräsident in die Vollen. "Grasgrün" sei der Koalitionsvertrag, "aber nicht, weil wir die CDU geknebelt haben, sondern weil die Zeiten es erfordern". Klimaschutz sei das "Herzstück", sagt der 72-Jährige, ganz wie er es versprochen habe. Es gelte, als führende Industrieregion ein "kopierfähiges Modell" auszurollen, wie sich ambitionierte Umweltpolitik mit wirtschaftlichem Erfolg vereinbaren lasse. Besonders betont er zudem die Bildungspolitik, die die Grünen erstmals federführend übernehmen werden. "Diese Verantwortung übernehmen wir mit großem Respekt."

Spannend, wie unterschiedlich dann die Debatten laufen.

Die CDU, wo viel mehr Druck im Kessel sein müsste, besinnt sich auf ihre Ur-Kompetenz: Wenn es um die Macht geht, hält man zusammen. Nicht nur die Funktionsträger aus dem Land werben für den "neugierigen Blick nach vorne". Auch die externen Gäste wie Friedrich Merz und Bundes-Chef Armin Laschet, beide in Präsenz vor Ort, stimmen in den Chor mit ein. Eine "Ampel" hätte ihm gar nicht gepasst, signalisiert Laschet. "Dankbar" sei er, dass die CDU in der Regierung bleibe.

Die Grünen hingegen beweisen, dass sie auch als 32,6-Prozent-Partei lieber kritisieren als jubilieren. Vor allem die Schuldenbremse, die nahezu den gesamten Koalitionsvertrag einengt, passt vielen nicht – was sie in der Debatte deutlich zum Ausdruck bringen. "Es darf keinen Haushaltsvorbehalt für Klimaschutz geben", sagt die Ulmerin Lena Schwelling. Auch Heidelbergs Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner würde die Schuldenbremse gerne lockern. Die Vorsitzende der Grünen Jugend, Sarah Heim, klagt: "Was nutzt es uns, schuldenlos auf einem kaputtgesparten Planeten zu leben?" Der CDU misstrauen die meisten hier weiterhin – da mag Kretschmann noch so sehr betonen, wie wichtig dieser Bündnispartner sei, um breiten gesellschaftlichen Rückhalt für die anstehenden Großprojekte und Umbrüche zu bekommen.

Vor allem aber überschattet – wieder einmal, muss man sagen – eine Provokation des Tübinger Oberbürgermeisters das Treffen. Schon vor genau einem Jahr hatte der Grünen-Landesvorstand Boris Palmer den Parteiaustritt nahegelegt. Damals ging es um Äußerungen zum Umgang mit Alten in der Pandemie ("Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären."). Jetzt verbreitete der 48-Jährige am Vortag des Parteitags ein Zitat, in dem er sich in rassistischer Wortwahl auf das Genital des schwarzen Fußballers Dennis Aogo bezog – mit entsprechend heftigem Gegenwind. "So was nennt man Satire", so Palmers Verteidigung. "Das ist erkennbar ein vollkommen grotesker Rassismusvorwurf mit einer noch absurderen Begründung."

Landes-Parteichef Oliver Hildenbrand bringt dann selbst den Antrag auf Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens auf dem Parteitag ein. "Wir haben es mit einer langen Vorgeschichte und einer Vielzahl von sehr problematischen Äußerungen und Vorfällen zu tun", so Hildenbrand. "Diese kalkulierten Ausrutscher und inszenierten Tabubrüche tragen zu einer Polarisierung und Brutalisierung der öffentlichen Debatte bei." Palmer wird selbst zugeschaltet, sieht sich in einer Position wie der jüngst verstorbene Kirchenkritiker Hans Küng – und fordert letztlich selbst die Klärung vor einem Parteigericht.

Ein großer Aufreger im grünen Kosmos. Das grüne-schwarze Kabinett "Kretschmann III" dürfte das aber kaum ins Wanken bringen. "Ich finde es eines Oberbürgermeisters unwürdig, dauernd mit Provokationen zu polarisieren", äußert sich der Ministerpräsident enttäuscht von Palmer. Und kann entspannt mit den Wahlergebnissen zum Koalitionsvertrag in die Woche starten: 79,2 Prozent Zustimmung bei der CDU, 85,5 Prozent bei den Grünen.

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