Plus Lange Wartezeiten, zu wenige Therapieplätze

Warum psychisch Kranke Monate auf Behandlungen warten müssen

Das Problem der Kassensitze. Die Wartezeiten sind regional sehr unterschiedlich.

17.10.2023 UPDATE: 17.10.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 22 Sekunden
Archivfoto: Christin Klose/dpa

Von Joris Ufer

Heidelberg. Sieben Monate – solange beträgt die durchschnittliche Wartezeit auf einen psychotherapeutischen Behandlungsplatz im Ruhrgebiet. Damit gehört die Region zu den am schlechtesten versorgten in ganz Deutschland, während es andernorts oft schneller geht. Wie diese Unterschiede zustande kommen, ist oft nur schwer zu verstehen. Die Bundesregierung hat zugesichert, die sogenannte Bedarfsplanung zu reformieren. Doch passiert ist bislang kaum etwas.

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Zu Beginn einer jeden Psychotherapie steht in Deutschland die sogenannte psychotherapeutische Sprechstunde, im Zuge derer die diagnostische Abklärung stattfindet und Patienten und Behandelnde den Rahmen für eine künftige Therapie abstecken können. Laut Daten der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung (DPtV) kam immerhin knapp die Hälfte der Hilfesuchenden innerhalb von vier Wochen zu solchen Erstgesprächen. Jedoch mussten ebenso viele Menschen insgesamt über ein halbes Jahr von der ersten Anfrage bis zum Beginn der eigentlichen Behandlung warten.

"Die Wartezeiten sind regional sehr unterschiedlich", erklärt Gebhard Hentschel, Bundesvorsitzender der DPtV. "Das ist historisch so gewachsen durch das Psychotherapeutengesetz 1999." Damals wurden Psychotherapien in den Abrechnungskatalog der Krankenkassen aufgenommen und die sogenannte Bedarfsplanung eingeführt. Die Zahl der Psychotherapeuten vor Ort, die damals einen Kassensitz erhielten, wurde einfach als "Bedarf" festgesetzt. Das heißt: Wenn diese Anzahl abgedeckt ist, spricht man von 100 Prozent Versorgung.

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Obwohl es über die Jahre einige Reformen gab und auch regionale Anpassungen möglich sind, ist dieses System nach wie vor in Kraft. Für Außenstehende sind die Prozesse dahinter oft undurchsichtig. Und auch der Gesetzgeber hat dabei keine unumschränkten Möglichkeiten, einzugreifen. Den deutschlandweiten Rahmen für die Behandlungskapazitäten legt der Gemeinsame Bundesausschuss fest, welcher sich aus Vertretern von Krankenkassen, Patienten, Ärzten und Therapeuten sowie Unabhängigen zusammensetzt. Die regionale Umsetzung ist dann hingegen Aufgabe der verschiedenen Kassenärztlichen Vereinigungen.

In ihrem Koalitionsvertrag hat die aktuelle Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP 2021 festgehalten: "Wir reformieren die psychotherapeutische Bedarfsplanung, um Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz, insbesondere für Kinder- und Jugendliche, aber auch in ländlichen und strukturschwachen Gebieten deutlich zu reduzieren." Denn nicht nur von Region zu Region unterscheidet sich das Angebot. Der Bedarf orientiert sich auch daran, ob man in einer Stadt, ihrem Umland oder auf dem Land wohnt. "In unserer Praxis versorgen wir auch Menschen aus dem ländlichen Umland, die oft weite Strecken für eine Sitzung auf sich nehmen", erklärt Hentschel, der in Münster als Therapeut praktiziert. "Wenn aber jemand kein Auto oder nicht die Zeit für eine längere Fahrt hat, wird das auch eine soziale Frage."

Auch deshalb stießen die Ankündigungen der Ampel auf ein positives Echo. "Wir als Psychotherapeuten-Vereinigung haben diese Reformbestrebungen damals explizit begrüßt", so Hentschel. "Passiert ist seither aber leider noch nichts." Dabei sei es insbesondere für Kinder und Jugendliche dringend notwendig, die Planung anzupassen. Es fehle vielerorts an Therapeuten mit Kassensitz.

Derzeit prüfe man umfassend Möglichkeiten, "Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz, insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch in ländlichen und strukturschwachen Gebieten deutlich zu reduzieren", heißt es dazu aus dem Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage der RNZ. Dabei gehe es auch darum, "den Zugang vorrangig für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen zu verbessern." Entsprechende Änderungen würden in ein kommendes Gesetzesverfahren eingebracht. Man fördere aber bereits Projekte, etwa zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen.

Bis zur Reform bleiben in Gegenden ohne verfügbaren Therapeuten mit Kassensitz nur Privatbehandlungen als Alternative. Laut Sozialgesetzbuch sind die Krankenkassen dann zur Kostenübernahme verpflichtet. In der Praxis sieht es oft anders aus. Laut einer Umfrage der DPtV lehnen die Krankenkassen 48 Prozent der Anträge ab – oft mit Verweis auf Fernbehandlungsalternativen.

Aber aus Sicht Hentschels sind es nicht nur systemische Schwierigkeiten. "Das ist in erster Linie eine Frage des finanziellen Willens", betont er. "Wenn wir mehr Kassensitze für Psychotherapeuten bezahlen, dann werden diese Angebote auch für mehr Menschen verfügbar."

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