Scholz und Merz schenkten sich im Bundestag nichts
Von zweien, die aus der Haut fuhren. Zumindest einer hatte einen anderen Plan.

Von Thomas Vitzthum, RNZ Berlin
Berlin. Eigentlich warten Oppositionsführer sehnlichst auf die wenigen Gelegenheiten im Jahr, wo sie im Bundestag vor dem Kanzler sprechen dürfen. Das ist so in der Generaldebatte in der Haushaltswoche. Und die ist jetzt. Doch Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) verzichtete am Mittwoch auf dieses Recht.
Merz schickte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor. Merz wollte offenbar auf den Kanzler reagieren können, einen Kontrapunkt setzen. Er durfte wohl erwarten, dass Scholz sich von seiner emotionalen Seite zeigen würde. Dass er poltert und schimpft. Das tut der Kanzler immer dann, wenn in der SPD-Fraktion Klagen über seine Profillosigkeit laut geworden sind. So wie zuletzt. Scholz lieferte dann auch genau das. Und Merz ließ sich davon provozieren.
Zunächst aber sprach Alexander Dobrindt. Der CSU-Politiker war für die Attacken auf die Ampel zuständig und für die Reaktion auf die Beendigung der Gespräche zur Migrationspolitik am Vortag. Dobrindt gab die Schuld am Scheitern allein der Regierung. "Diese Verweigerungshaltung ist eine Kapitulation gegenüber der Überforderung unserer Kommunen, unserer Schulen, der Sicherheitslage in unserem Land. Und die Menschen haben diese Ampel-Ausreden satt." Dobrindt forderte erneut "konsequente Zurückweisungen an den Grenzen".
Dann kam der Kanzler. Und der war erkennbar darauf eingestellt, sich an Merz abzuarbeiten. Auf Dobrindt ging er gar nicht ein. Scholz fuhr zunächst eine überraschende Breitseite gegen die AfD. Die Partei sei "mit der Vergangenheit verheiratet. Einer Vergangenheit, die es nicht gegeben hat." Alsdann kam er zwar zur Migrationspolitik, aber pries zunächst die Bedeutung von Arbeitszuwanderung.
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Erst als er zu dem Teil kam, der als Replik auf Merz gedacht war, wurde Scholz hitzig. Ihm warf er vor, für den Ausstieg aus den Gesprächen von Anfang an "ein Drehbuch" gehabt zu haben. "Sie sind der Typ von Politiker, der glaubt, mit einem Interview in der Bild am Sonntag hätte sie schon die Migrationsfrage geändert." Seine Regierung habe die größte Wende im Umgang mit irregulärer Migration zustande gebracht, lobte sich Scholz selbst. Dagegen hätten konservative Innenminister jahrzehntelang nur "Sprüche geklopft".
Das zündete. Einen Scholz, der aus der Haut fährt, liebt die SPD und er kommt auch bei den Grünen gut an. Scholz’ Plan schien aufgegangen. Und doch: Die FDP blieb nur bei Achtungsapplaus. Immerhin. Denn bei den Reden von Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge, die sich für eine weitere Aufnahme von Flüchtlingen aussprach, rührte die FDP keine Hand.
Scholz’ bekommt die Koalition auch an diesem Mittwoch nicht geeint. Umständlich näherte sich FDP-Fraktionschef Christian Dürr in seiner Rede dem Thema Migration und forderte dann, "den Vorschlag der Union in Bezug auf einfache Zurückweisungen an den Grenzen auch umzusetzen". Damit nicht genug, FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai erklärte später mit Blick auf die Union: "Es gibt keine Ampel in der Migrationspolitik. Wir als FDP stehen Ihnen weitaus näher als unseren geschätzten Kollegen von der Koalition". Und: "Wir sind bereit, eins zu eins umzusetzen, was die Union gesagt hat." Fassungslosigkeit bei SPD und Grünen.
Merz hätte auf dieses Auseinanderfallen der Ampel eingehen können. Doch er hatte sich anders vorbereitet. Erinnerte an den 11. September 2001, sprach über den Krieg in der Ukraine. Das war staatsmännisch. Dann wurde er emotional. Den Vorwurf des Kanzlers, die Migrationsgespräche mit Absicht platzen zu lassen, nannte er "infam".
Schließlich ließ er sich von Zwischenrufen verleiten, wieder die Oppositionsrolle einzunehmen. Als SPD-Chefin Saskia Esken ihm etwas zurief, wurde er sarkastisch: "Ach, Frau Esken. Vielen Dank für Ihren Zwischenruf und ich wünsche mir viele weitere Fernsehauftritte von Ihnen." Es war eine Anspielung auf die Unbeliebtheit der SPD-Politikerin. Merz‘ Bemerkung provozierte Lacher. Staatsmännisch war sie nicht. So sehr solche Ausraster von Merz seine Leute für den Moment mitreißen. Sie sind es auch, die manche doch an seiner Eignung als Kanzlerkandidat zweifeln lassen.




