Friedrich Merz gibt schon den Kanzler
Der CDU-Chef setzt bereits auf eine Mehrheit, die er noch gar nicht hat. Gibt es Verfassungsänderungen noch mit alten Mehrheitsverhältnissen?

Von Thomas Vitzthum, RNZ Berlin
Berlin. Er wirkt aufgeräumt, sogar ausgeschlafen. Als Friedrich Merz um halb zwei am Montagnachmittag die Bühne des Adenauerhauses zu seiner ersten Pressekonferenz nach dem Wahlsieg der Union bei der Bundestagswahl betritt, wird er beklatscht. Auf den Rängen haben sich Mitarbeiter des Hauses aufgebaut. Auch einige Spitzenpolitiker der CDU sind darunter. Julia Klöckner, die Schatzmeisterin, Andreas Jung, CDU-Vize und Jens Spahn, der Ex-Gesundheitsminister. Sie alle dürfen sich Chancen ausrechnen, in der nächsten Regierung eine wichtige Rolle zu spielen.
Doch so weit ist es längst nicht. "Wir haben kein einziges Wort über Personal miteinander verloren", sagt Merz. Das Präsidium und der Bundesvorstand der Partei tagten zuvor hinter verschlossenen Türen. Kritik, dass die Union nur 28,5 Prozent holte, gab es nicht. Die Union weiß, was jetzt angezeigt ist: Geschlossenheit. Damit in Koalitionsverhandlungen mit der SPD nicht der Hauch eines Zweifels aufkommt, der künftige Kanzler hätte seinen Laden nicht im Griff.
Merz moderiert das Ergebnis schön. Er dankt "den 14 Millionen Wählerinnen und Wählern, die Union gewählt haben"; klingt doch gleich viel wuchtiger als die Prozentzahl. Auch erklärt er, die Partei habe drei Millionen hinzugewonnen, man habe sich mal das Ziel zwei Millionen gesetzt. Das hören die anwesenden Medienleute freilich zum ersten Mal.
Es gibt eine weitere Überraschung. Thema der Sitzungen war auch die künftige Sperrminorität, die Linke und AfD im Bundestag haben. Heißt, die beiden Parteien zusammen können eine Zweidrittelmehrheit der anderen mit ihrem Votum verhindern. Das führt etwa dazu, dass Grundgesetzänderungen nur mit ihnen gehen. Zumindest mit einem Teil.
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Von den Grünen kam deshalb der Vorschlag, mit dem alten Bundestag, der noch bis 24. März aktiv ist, noch Änderungen der Verfassung zu ermöglichen. Was zunächst von CDU-Leuten früh morgens klar verneint wurde, scheint für Merz erwägenswert. "Wir können entscheiden, ob wir entscheiden sollen oder entscheiden müssen, darüber werde ich mit den Parteien sprechen, die noch mit einem bestehenden Mandat ausgestattet sind", sagt er. Merz will also mit SPD, Grünen und FDP reden. Womöglich kommt es also noch zu einer Sondersitzung.
Denkbar wäre, dass sich alle genannten Parteien einigen, ein weiteres Sondervermögen für die Bundeswehr ins Grundgesetz zu schreiben. Das würden die Linken nämlich sicher nicht mitmachen. Und auf die AfD will keiner angewiesen sein. Bei der Schuldenbremse wird Merz wohl hart bleiben – auch die müsste ja mit Zweidrittelmehrheit geändert werden.
Merz strickt also für den Moment an zwei Mehrheiten. Wobei die künftige Regierungsmehrheit natürlich die weit wichtigere ist. "Ich werde noch heute Gespräche mit dem Parteivorsitzenden der SPD führen", sagt er. Wobei er dabei offensichtlich nur an Lars Klingbeil denkt. Der CDU-Politiker gibt sich optimistisch, dass ihm die SPD entgegenkommen werde. Bei der Migrationspolitik, bei einer Bürgergeldreform und bei der Wirtschaftspolitik. Was er zu Geben habe, wird er gefragt: "Wir bieten gute, vertrauensvolle und vertrauliche Gespräche an."
So zahm sich Merz also im Ton gibt, inhaltlich gibt er nichts preis. Auch die von ihm geforderten Zurückweisungen an den Grenzen bleiben auf dem Tisch. Diese müsse es "auf Zeit" geben, bis ein europäisches Asylsystem gelte. Man könnte immerhin dies als kleines Zugeständnis lesen. Denn dieses "auf Zeit", spielte in der Argumentation der Union bisher keine Rolle. Merz stellt ferner klar: "Niemand will die Grenzen schließen. Aber wir müssen die Landesgrenzen besser schützen."
Merz sieht die Union in der starken Rolle und die SPD nahe "an der Existenzkrise". Auch die CDU hat keinen einzigen Wahlkreis im Osten gewonnen. Merz sieht eine große Aufgabe vor sich. "Ich werde das Amt des Bundeskanzlers nicht in erster Linie als Parteivorsitzender der CDU ausüben, sondern als derjenige, der ein Mandat hat für das ganze Land."
Im Zentrum steht für ihn neben der Migrations- und Wirtschaftspolitik die Außen- und Sicherheitspolitik. Auch hier schafft Merz schon Fakten. Noch am Sonntag telefonierte er mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kurz vor dessen USA-Reise. "Wenn sich diejenigen durchsetzen, die America alone zu ihrem Motto machen, wird es schwierig", sagt Merz mit Blick auf das transatlantische Verhältnis. US-Präsident Donald Trump will Merz überzeugen, dass ein gutes Verhältnis in beiderseitigem Interesse sei.
Der Weg zum neuen Bundestag
Nach der Bundestagswahl geht es geschäftig weiter. Schnell nach der Wahl werden erst Sondierungen und dann Verhandlungen über die Bildung der neuen Regierung beginnen. Wie lange es dauert, bis diese steht, ist schwer kalkulierbar. Auch weil es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, wie die Parteien einen Koalitionsvertrag von der eigenen Basis absegnen lassen: Mit einem Parteitag geht es schnell, eine Mitgliederbefragung dauert länger.
> Neue Wahlperiode: Nach Art. 39 Grundgesetz muss der neue Bundestag spätestens am 30. Tag nach der Wahl zusammentreten. Das wäre spätestens der 25. März. Mit der konstituierenden Sitzung beginnt die neue Wahlperiode. In dieser Sitzung fallen bereits Personalentscheidungen: Die Abgeordneten wählen eine neuen Präsidenten sowie dessen Stellvertreter. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird den Kanzler bitten, die Geschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen, wozu dieser nach Art. 69 verpflichtet ist.