Warum Menschen in der Kirche bleiben
Ein Drittel nicht religiös. Was die Menschen hält.

Von Karsten Packeiser
Nürnberg/Mainz. Die Liste der Vorwürfe an die Kirchen ist lang: Veraltete Strukturen, antiquierte Weltbilder und immer wieder Skandale. Statistiken belegen den dramatischen Mitgliederschwund seit Jahren. Und doch gibt es viele Menschen, die sich nicht vorstellen könnten, aus der Kirche auszutreten. Was hält sie?
Eine, die den Institutionen des christlichen Glaubens nicht den Rücken gekehrt hat, ist Nina Maskus. Zurzeit absolviert die 19-Jährige ihren Bundesfreiwilligendienst beim Evangelischen Stadtjugendpfarramt in der Mainzer Neustadt. Als Pfarrerstochter hatte sie stets engagierte Kirchenmitglieder in ihrem Umfeld. "Meine Gemeinde ist meine Heimat", bekräftigt sie.
Und nicht nur in der Evangelischen Jugend findet sie damit Gleichgesinnte. Ihre katholische Freundin Luisa Eizenhöfer etwa engagiert sich in ihrer Gemeinde bei der Betreuung jüngerer Messdiener. "Die Leute sehen nur Schlagzeilen und Skandale, aber nicht das, was wir sehen, nicht unsere Gemeinschaft", sagt sie.
Ob der diesjährige Kirchentagspräsident Thomas de Mazière auch diese beiden meinte, als er gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit" die junge Generation für Tendenzen zu Bequemlichkeit und Vier-Tage-Woche kritisierte? "Mich ärgert, dass sie zu viel an sich denken und zu wenig an die Gesellschaft. Am siebten Tage sollst du ruhen, heißt es in der Bibel", sagte der ehemalige Bundesminister. "Das bedeutet ein Verhältnis von sechs zu eins. Und nicht, dass die Freizeit überwiegt". Das Engagement der Klimabewegung hingegen lobte er ausdrücklich als einen "Segen". Sich auf die Straße zu kleben, sei übertrieben, aber das seien nur einige.
Auch interessant
Doch anders als die Klimabewegung können die Kirchen derzeit kaum auf Zuwachs hoffen. 2022 kehrten 380.000 Menschen der evangelischen Kirche den Rücken. Die katholischen Bistümer haben noch keine Zahlen veröffentlicht, verbuchten aber 2021 knapp 360.000 Austritte. Nicht zuletzt die Skandale um das Thema sexualisierte Gewalt und der Umgang damit haben das Vertrauen erschüttert.
Gert Pickel, Professor für Religions- und Kirchensoziologie in Leipzig, forscht zu den Ursachen dieser Entwicklung. "Ein Drittel der Kirchenmitglieder glaubt nicht an Gott", stellt er fest. Die Gemeinschaft in einem guten Chor könne aber bereits ein Grund sein, sich weiter der Kirche verbunden zu fühlen. Zudem legten noch immer viele Wert auf, dass jemand sie an den Wendepunkten des Lebens begleitet: etwa bei Taufen, Hochzeiten oder Todesfällen. Wer wirklich gläubig sei, bleibe meist sogar dann in der Kirche, wenn ihm vieles an der Institution missfalle. Erst in jüngster Zeit sei ein Trend zu erkennen, dass auch sehr religiöse Menschen austräten – vor allem aus der katholischen Kirche.
Auch die Freundinnen aus Mainz sehen an vielen Stellen Handlungsbedarf. So setzt sich Eizenhöfer dafür ein, dass die katholische Kirche endlich die Rolle von Frauen überdenkt. Und Pfarrerstochter Maskus meldet sich regelmäßig zu Wort, wenn sie erlebt, dass in ihrer Landeskirche die Interessen der Jugend "hinten runterfallen". Jüngster Anlass dafür war der Beschluss, ein als Jugendbildungszentrum genutztes einstiges Kloster aufzugeben. Aber trotz aller Kritik: Zumindest für diese beiden kommt ein Austritt nicht in Frage.



