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Der 28. März 2000 - Salutschüsse mit zwei ballistischen Raketen

Am 27. März 2000 wurde Wladimir Putin zum ersten Mal zum russischen Präsidenten gewählt – Das erfreute den Westen und die Generalität

14.08.2025 UPDATE: 14.08.2025 12:00 Uhr 2 Minuten, 3 Sekunden
​Das Titelblatt der RNZ-Ausgabe vom 28. März 2000.

Von Klaus Welzel

Wer den Ukrainekrieg verstehen will, sollte am besten die RNZ-Titelseite vom 28. März 2000 lesen. Denn dort steht alles schwarz auf weiß. "Putin fordert Kurswechsel" heißt es in der Schlagzeile. Gewürdigt wird – auch mit einem Kommentar auf Seite 2 – der Wahlsieg des neuen russischen Präsidenten.

Boris Jelzin, der zuletzt wegen Trunksucht und Orientierungsschwierigkeiten aufgefallen war, hatte bereits drei Monate zuvor seinen Rücktritt angekündigt. Zum Zuge kam Wladimir Putin, der schon im ersten Wahlgang 52,64 Prozent der Stimmen hinter sich vereinen konnte und der dieses beeindruckende Ergebnis als "noch größere moralische Verpflichtung" bezeichnete. Was aus heutiger Sicht leicht größenwahnsinnig wirken mag, hatte einen ernsten Hintergrund: Unter Jelzin blühten Korruption und Vetternwirtschaft. Putin räumte auf.

Gleichwohl präsentierte der Frischgewählte erst einmal eine Seite an sich, die ausschließlich auf militärische Stärke setzte. Quasi als "eine Art Salut" feuerte das nukleargetriebene U-Boot "Karelija" am Tag nach der Wahl zwei ballistische Raketen ab, "die auf der fernöstlichen Halbinsel Kamtschatka einschlugen", wie die RNZ konstatiert.

Passend erklärte Außenminister Iwanow nach einem ersten Treffen der neuen Regierungsspitze, die russische Außenpolitik werde "den Entwicklungen im Ausland" angepasst. Was damit gemeint war? Möglicherweise die Nato-Osterweiterung, die Putin bis heute ein Dorn im Auge ist. Sie wird von russischer Seite stets angeführt, wenn es um die Kriegsgründe gegen die Ukraine geht.

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​Das Titelblatt der RNZ-Ausgabe vom 28. März 2000

Im Großen und Ganzen war "der Westen" jedoch (trotz des immer noch andauernden Tschetschenienkrieges) überaus zufrieden mit dem Wahlausgang. Auf Platz zwei kam der "Kommunistenchef Sjuganow" mit knapp 30 Prozent, der "liberale Politiker Jawlinski landete weit abgeschlagen mit 5,84 Prozent auf Platz drei.

Putin erschien auch außerhalb Russlands als pragmatischer, durchsetzungsfähiger Politiker, der – wie es fast erstaunt in der Bildunterschrift heißt – "keine Miene" verzog, als ihm der britische Premierminister Tony Blair per Telefon zum Wahlsieg gratulierte.

Der Rest der Titelseite verliert sich etwas im kleinklein. Die geplante Wahl der künftigen Grünenspitze nimmt erstaunlich viel Raum ein. Im Bild ist der Realo Fritz Kuhn zu sehen, der sich später den Wahlkreis Heidelberg ergattern wird – damit er mit dickem Stimmenpolster in den Bundestag einzieht.

Viel mitbekommen hat man von dem kühlen Franken auf dieser Höhe des Neckars nicht. Jahre später verschwand er wieder, um Stuttgarter Oberbürgermeister zu werden. Dort hinterließ er dann ebenfalls eher überschaubare, im Grunde kaum sichtbare Fußstapfen.

Gleichwohl ging es im März 2000 noch darum, dass ein Grünen-Vorstand auf jeden Fall sein Mandat abgeben muss. Und dass kandidierende Frauen auf im Grunde obszöne Weise bevorzugt wurden, indem selbst eine unterlegene Kandidatin erneut gegen einen Mann antreten konnte. Lang, lang ist’s her.

Erfreulich hingegen die blaue Zeile auf Seite 1: Die "Jugend 2000" zeigt Selbstbewusstsein und Optimismus. Die Zeiten waren also gar nicht so düster – und Putin würde im Jahr darauf im Bundestag auf Deutsch reden. Dass Angebot von ihm, Russland könne doch der Nato beitreten, wies Deutschland ebenso kühl zurück wie seine Bündnispartner. Aber Applaus für den prominenten Gastredner fiel warm und herzlich aus.

Woher hätte man auch nur ahnen können, dass dieser Mann zwei Jahrzehnte später zum europäischen Kriegsherren mutieren würde? Obwohl: Im Grunde stand – wie schon eingangs erwähnt – alles Nötige im kleinen Aufmachertext der RNZ. Schade, dass der damals vermutlich nur oberflächlich gelesen wurde.

 

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