75 Jahre nach Gründung

Nato steht vor einer Zerreißprobe

Es ist ein Jubiläum mit Zähneknirschen. Die Nato ist zwar stärker, aber auch bedrohter als je zuvor.

04.04.2024 UPDATE: 04.04.2024 04:00 Uhr 2 Minuten, 25 Sekunden
Nato
«Alle für einen, einer für alle.»

Von Mareike Kürschner, RNZ Berlin

Berlin. "Die Sowjetunion draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen klein halten" – mit diesen Worten umriss der erste Nato-Generalsekretär Lord Hastings Lionel Ismay den Zweck der Verteidigungsallianz. Heute – 75 Jahre nach der Gründung des Nordatlantikrats – ist diese Beschreibung besonders in Bezug auf die USA relevanter denn je.

Wirklich zum Feiern zumute ist den Mitgliedern des Militärbündnisses anlässlich des Jahrestags der Unterzeichnung des Nordatlantikpakts am 4. April 1949 durch US-Präsident Harry S. Truman heute nicht. Die Nato ist zwar stärker, aber auch bedrohter als je zuvor – und zwar von innen.

Der russische Überfall auf die Ukraine gilt als größter Härtetest in der Geschichte der Allianz. Dabei ist die Nato gar nicht direkt beteiligt. Zudem wirft die mögliche Wiederwahl von Donald Trump ihre Schatten voraus. Seit jeher sind die Vereinigten Staaten Pfeiler für die Sicherheit der europäischen Nato-Partner. Doch wie lange noch?

Trump drohte bereits, im Falle seines Sieges bei der Wahl säumige Verbündete nicht mehr zu unterstützen. Doch auch Präsident Joe Biden machte bereits deutlich, dass die USA sich nicht mehr alleine für die Sicherheit Europas zuständig fühlen. Auch wenn Trump verliert, wird Washington daher wohl den Druck auf Europa erhöhen, sich stärker selbst um seine Verteidigung zu kümmern.

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Es ist nun an der Nato, die Weichen dafür zu stellen. Die Europäer alleine tun sich schwer, sich zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik durchzuringen. Nun kündigte Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch bei einem Außenministertreffen in Brüssel an, dass beim nächsten Nato-Gipfel im Juli in Washington entschieden werden soll, bislang von den USA übernommene Aufgaben zur Unterstützung der Ukraine auf das Bündnis zu übertragen.

Zudem will der Norweger die Nato-Staaten bewegen, der Ukraine für die kommenden fünf Jahre über das Bündnis militärische Unterstützung im Wert von 100 Milliarden Euro zuzusagen. Es gehe darum, eine neue Dynamik zu schaffen und mehr auf feste mehrjährige Zusagen als auf freiwillige Nato-Beiträge zu setzen.

Dafür müssen allerdings alle Mitglieder zustimmen. Der Vorstoß für das 100-Milliarden-Euro-Paket zielt auch darauf, die Last der Ukraine-Unterstützung auf mehr Schultern zu verteilen – und so den USA entgegenzukommen. Es sind Vorbereitungen für das Szenario "Trump". Stoltenberg beweist dabei, was für ein Glücksfall er für das Bündnis ist.

Einer, der in seine Rolle hineingewachsen ist – die übrigens erst einmal von einem Deutschen (Manfred Wörner, 1988 bis 1994) und noch nie von einem Amerikaner besetzt wurde. Laut Statuten ist aber dafür der verantwortliche Oberbefehlshaber für alle Nato-Operationen immer ein US-General.

An Stoltenberg liegt es nun, vor Ende seiner Amtszeit, die Allianz gefestigt seinem Nachfolger zu übergeben. Zeiten des Umbruchs hat die Nato einige hinter sich: Nach dem Zerfall der Sowjetunion fehlte ihr die Richtung. Der Systemkonflikt in einer bipolaren Welt war vorüber.

Sie suchte neue Aufgaben, die sie in Auslandseinsätzen fand: Im Bosnienkrieg Mitte der 90er-Jahre kam es zum ersten Kampfeinsatz. 2001 nach den Anschlägen vom 11. September riefen die USA den ersten Bündnisfall aus. Es folgte ein 20 Jahre dauernder Einsatz in Afghanistan.

Heute ist das transatlantische Verteidigungsbündnis stärker denn je: Mit dem Beitritt von Finnland und Schweden hat die Allianz an Schlagkraft gewonnen. Der russische Angriff auf die Ukraine hat den Nato-Partnern vor Augen geführt, wovor die östlichen Mitglieder lange warnten: Dass Moskau immer noch eine Gefahr darstellt. Die Mehrheit der 32 Nato-Länder erfüllt nun die Verteidigungsquote von zwei Prozent – vor wenigen Jahren noch undenkbar.

Stoltenberg zeigte sich am Mittwoch wohl auch deshalb überzeugt, dass das Bündnis noch lange nicht an seine Grenzen gekommen ist. In Erinnerung dürfte er auch die Worte des französischen Präsidenten Emmanuel Macron haben, der die Allianz 2019 für "hirntot" erklärte. Doch seit Februar 2022 zeigt sich, wie wichtig das Bündnis als Stabilitätsanker in einer multipolaren Welt ist. Die Nato ist aus dem Koma erwacht.

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