Vorläufiger Bericht

Air-India-Absturz: Cockpit-Gespräch über Treibstoff-Regler

Der Absturz der Maschine mit 260 Toten rief Entsetzen hervor. Nun gibt es einen Bericht zur möglichen Ursache. Laut Experten könnte die Treibstoffzufuhr absichtlich unterbrochen worden sein.

12.07.2025 UPDATE: 12.07.2025 01:17 Uhr 2 Minuten, 33 Sekunden
Flugzeugabsturz in Indien
Menschen betrachten die Wrackteile des am Donnerstag (12.06.2025) abgestürzten Flugzeugs von Air India. (Foto Archiv)

Neu-Delhi (dpa) - Der Absturz des Passagierflugzeugs von Air India mit 260 Toten vor einem Monat ist möglicherweise auf eine unterbrochene Treibstoffzufuhr zurückzuführen. Die Regler für die Kraftstoffzufuhr der beiden Triebwerke seien unmittelbar nach dem Start fast gleichzeitig auf die Position "abgeschaltet" gesprungen, heißt es in einem vorläufigen Bericht der indischen Behörde für Flugunfall-Untersuchung. Im Cockpit gab es einen Wortwechsel darüber, warum die Schalter plötzlich geschlossen waren. Der Bericht nennt keinen Grund. 

Dem Bericht zufolge kam es kurz nach dem Start zu einem plötzlichen Schubverlust und die Boeing 787 Dreamliner verlor an Höhe. Auf dem geborgenen Stimmenrekorder des Flugzeugs sei im Cockpit zu hören gewesen, wie einer der Piloten den anderen gefragt habe, warum er den Kraftstoffschalter umgelegt habe, heißt es. "Der andere Pilot antwortete, er habe das nicht getan." Wann der Flugkapitän sprach und wann der Erste Offizier, blieb unklar.

Experte: Schalter nicht leicht verstellbar

Luftfahrtexperte Graham Braithwaite von der Cranfield University sagte der BBC, solche Treibstoff-Regler könnten nicht leicht abgeschaltet werden. Es handle sich um "wirklich wichtige Schalter", die davor geschützt seien, dass jemand sie versehentlich berühre. Wenn ein Pilot einen solchen Schalter betätigen wolle, müsse er diesen "anheben und sehr bestimmt in die gewünschte Position bewegen", erklärte Braithwaite. Der Experte wies auch darauf hin, dass in dem Bericht nicht behauptet werde, ein Pilot habe den Schalter bewegt. 

Das Flugzeug mit 242 Menschen an Bord war am 12. Juni in Ahmedabad im westindischen Bundesstaat Gujarat in ein Wohngebiet gestürzt und in Flammen aufgegangen. Bei der Katastrophe starben 241 Insassen und 19 weitere Menschen am Boden. Nur ein Passagier an Bord - ein Brite - überlebte. Das Flugzeug war nach London unterwegs.

Notfallsystem ausgeklappt

Überwachungskameras am Flughafen hätten gezeigt, dass das Ram-Air-Turbine genannte Notfallsystem des Flugzeugs ausgeklappt worden sei, als die Maschine anfangs gestiegen sei, heißt es weiter in dem vorläufigen Bericht. Das System besteht aus einem kleinen Propeller und erzeugt aus dem Fahrtwind hydraulische oder elektrische Energie. Bei einem Notfall wird es aus dem Rumpf oder der Tragfläche ausgeklappt.

Dem Bericht zufolge deutete nichts auf einen möglichen Zusammenprall mit fliegenden Vögeln hin. "Es wurden keine bedeutsamen Vogelaktivitäten in der Nähe der Flugbahn beobachtet." Die Maschine habe bereits an Höhe verloren, noch bevor sie die Umfassungsmauer des Flughafens überflogen habe. Einer der Piloten habe eine Notmeldung mit dem Code "Mayday Mayday Mayday" abgesetzt.

Keine Handlungsempfehlung für Boeing

In diesem Stadium der Untersuchungen gebe es "keine Handlungsempfehlungen für die Betreiber und Hersteller von Boeing 787-8 und/oder GE GEnx-1B-Triebwerken", teilte die Behörde mit. An den Untersuchungen beteiligten sich demnach auch Experten von Boeing, der Bundesluftfahrtbehörde der USA sowie des Triebwerkherstellers GE. 

Die Fluggesellschaft Air India bestätigte den Eingang des vorläufigen Berichts. Sie könne sich angesichts der laufenden Ermittlungen aber nicht zu spezifischen Details äußern, teilte sie mit.

Deutscher Luftfahrtexperte: Alles deutet auf Suizid hin

Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt äußerte sich im "Spiegel" mit Blick auf den vorläufigen Bericht überzeugt, dass einer der beiden Piloten die Treibstoffzufuhr absichtlich unterbrochen habe. "Alles deutet darauf hin, dass es ein Suizid war. Dass einer der beiden Piloten dieser Maschine bewusst die Treibstoffzufuhr unterbrochen hat – und das genau in dem Moment, in dem das Flugzeug am verwundbarsten war, unmittelbar nach dem Abheben."

Die beiden Treibstoff-Regler für die Triebwerke seien laut dem Bericht wenige Sekunden nach dem Abheben von "Run" auf "Cutoff" umgelegt worden - und zwar nacheinander, im Abstand von einer Sekunde zwischen Schalter 1 und Schalter 2. "Das kann nach menschlichem Ermessen nur einer der beiden Männer im Cockpit getan haben", so Großbongardt. "Versehentlich kann man diese Regler nicht bewegen."

Die Wiederherstellung der Treibstoffversorgung sei zwar wenige Sekunden später erfolgt, so der Experte - jedoch sei das bereits zu spät gewesen. "Jeder von beiden könnte sie betätigt haben. Es ist noch nicht einmal ausgeschlossen, dass derjenige, der sie abschaltete, gleich danach den anderen gefragt hat, warum er die Treibstoffzufuhr abgeschaltet habe: Im Versuch, seine Spur zu verwischen", so der Luftfahrtexperte. Es werde umfassende Untersuchungen geben – und wohl viele Spekulationen darüber, wer von beiden es war.

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