Reise in die Türkei

Merz besucht Erdogan: Gaza-Konflikt im Mittelpunkt

Nahost, Ukraine, Migration: Die Türkei ist in vielen Feldern ein wichtiger Partner für Deutschland. Das dürfte der Kanzler in Ankara auch deutlich machen - ungeachtet einiger schwierigen Themen.

29.10.2025 UPDATE: 29.10.2025 05:03 Uhr 3 Minuten, 28 Sekunden
Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft
Bundeskanzler Friedrich Merz reist für einen Antrittsbesuch beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nach Ankara.

Berlin/Ankara (dpa) - Bundeskanzler Friedrich Merz reist heute zu seinem Antrittsbesuch in die Türkei, bei dem der Gaza-Konflikt im Mittelpunkt stehen dürfte. Den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hatte er zuletzt vor gut zwei Wochen bei der historischen Friedenszeremonie von US-Präsident Donald Trump in Ägypten gesehen. Die damals besiegelte Waffenruhe ist inzwischen brüchig. In der Nacht zu Mittwoch bombardierte Israel Ziele im Gazastreifen, nachdem dort ein israelischer Soldat getötet worden war. 

Auch wenn die israelischen Streitkräfte die Waffenruhe nun wieder einhalten wollen - die Lage in Gaza dürfte ein dominierendes Thema sein, wenn Merz und Erdogan sich am Donnerstag in der Hauptstadt Ankara treffen. Daneben wird es um den Ukraine-Krieg, Migration, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Rüstungskooperation gehen. Das Nato-Mitglied Türkei ist in vielen Feldern ein unverzichtbarer Partner für Deutschland, das dürfte Merz bei seinem Besuch auch deutlich machen. 

Unklar ist, inwieweit der neue Haftbefehl gegen den türkischen Oppositionsführer Ekrem Imamoglu oder die Themen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte insgesamt eine Rolle spielen werden. Der abgesetzte Istanbuler Bürgermeister sitzt seit März ohne Anklage in Untersuchungshaft. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte die Inhaftierung damals als "schweren Angriff" auf die Demokratie in der Türkei bezeichnet. Die Kritik aus der Union war schon damals deutlich zurückhaltender. 

Den Ton für den Kanzlerbesuch hat Außenminister Johann Wadephul vor knapp zwei Wochen bei seinem Besuch in Ankara gesetzt. Die Türkei sei ein "strategischer Partner in allen unseren außenpolitischen Belangen und ein guter Freund", sagte er. "Wir wollen insgesamt eine Positivagenda." Direkte Kritik etwa am um Umgang mit Opposition und Zivilgesellschaft blieb zumindest auf offener Bühne aus.

Thema Nummer eins: Der Gaza-Konflikt

Erdogan hat Israel wegen des militärischen Vorgehens im Gazastreifen immer wieder scharf angegriffen und die islamistische Hamas als "Widerstandsorganisation" bezeichnet. Die Türkei hat aber auch eine bedeutende Rolle bei den Verhandlungen zwischen beiden Seiten gespielt. 

Das Nato-Land verfügt über gute Kontakte zur Hamas, deren Funktionäre sich nicht nur in Katar, sondern auch in der Türkei aufhalten. Das Vertrauen, das Erdogan bei der Hamas genießt, könnte bei der Umsetzung der angestrebten zweiten Phase des Abkommens eine wichtige Rolle spielen, bei der es auch um die Entwaffnung der Terrororganisation gehen soll. 

Die jüngsten israelischen Angriffe auf den Gazastreifen wertete das türkische Außenministerium als "eklatanten Verstoß" gegen den Waffenstillstand. Die uneingeschränkte Einhaltung der Vereinbarung sei von entscheidender Bedeutung, um die Aussicht auf einen dauerhaften Frieden zu erhalten und die regionale Sicherheit zu gewährleisten. 

Ukraine-Krieg: Ankara in einer Vermittlerrolle

Die Türkei unterhält auch gute Beziehungen zu Russland und der Ukraine und war schon Austragungsort von Gesprächen zwischen den beiden Parteien. Die Vermittlerrolle bedeutet aber auch, dass sich die Türkei nicht an Sanktionen gegen Russland beteiligt. Im Gegenteil: Ankara bezieht große Mengen an Öl und Gas aus dem Land, dessen Streitkräfte vor mehr als drei Jahren in die Ukraine einmarschiert sind. 

Neue Impulse für die Friedensbemühungen sind von dem Treffen zwischen Merz und Erdogan nicht zu erwarten. Seit Monaten blicken alle darauf, was US-Präsident Donald Trump macht. Zuletzt war ein angestrebtes Treffen Trumps mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Budapest nicht zustande gekommen. 

Migration: Abschiebung nach Syrien über die Türkei?

In der Flüchtlingspolitik ist die Türkei seit Jahren ein zentraler Partner Deutschlands und der EU. Seit 2016 gibt es ein Abkommen, mit dem Migration von der Türkei zu den griechischen Inseln verhindert werden soll. Im Gegenzug zahlt die EU Milliardenhilfen für die Versorgung von Flüchtlingen, aber auch für den Ausbau der Grenzen. 

Die Türkei hat Millionen Flüchtlinge aus dem ehemaligen Bürgerkriegsland Syrien aufgenommen und unterhält gute Beziehungen zur syrischen Übergangsregierung. Gegebenenfalls könnte die Regierung in Ankara daher auch behilflich bei der Abschiebung syrischer Straftäter ohne Bleiberecht aus Deutschland sein. 

Die Türkei zählt außerdem zu den Hauptherkunftsländern von Asylbewerben in Deutschland. Schon die Ampel-Regierung hatte sich darum bemüht, die Rückführung abgelehnter Antragsteller in die Türkei zu beschleunigen. Derzeit handelt es sich nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge um 22.560 Menschen - knapp zehn Prozent aller ausreisepflichtigen Asylbewerber. 

Rüstungskooperation: Eurofighter-Deal als Durchbruch 

Wegen des türkischen Einmarschs in Syrien 2016 hatte die damalige Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einen weitgehenden Rüstungsexportstopp gegen die Türkei verhängt. Die Kehrtwende hatte ihr Nachfolger Olaf Scholz (SPD) schon vor einem Jahr vollzogen und wieder militärische Ausfuhren für den Nato-Partner im größeren Stil zugelassen. Die Regierung Merz setzt diesen Kurs nun fort. 

Am Montag wurde mit deutscher Zustimmung und Beteiligung ein Milliardengeschäft über die Lieferung von 20 neuen Eurofighter-Kampfjets abgeschlossen. Ein Deal mit hoher Symbolkraft.

Bei dem Merz-Besuch in Ankara dürfte es nun darum gehen, was sonst noch alles möglich ist. Wadephul sprach während seiner Türkei-Reise von "etlichen Projekten", die vor der Finalisierung stünden. Es sei "selbstverständlich, dass unsere Rüstungsindustrien auf das Engste miteinander kooperieren", sagte er.

Der Fall Imamoglu: Wird er eine Rolle spielen? 

Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner erwartet, dass auch die Inhaftierung des Oppositionsführers Imamoglu Thema sein muss. "Ungeachtet wichtiger bilateraler Themen und gemeinsamer Herausforderungen für Deutschland und die Türkei müssen solche brisanten Punkte selbstverständlich zur Sprache gebracht werden, wenn der Kanzler den türkischen Präsidenten trifft", sagt er.

Nach einem Treffen des Kanzlers mit Oppositionsvertretern in Ankara sieht es jedenfalls erst einmal nicht aus. Der Plan sei, "dass das bilaterale Gespräch mit Herrn Erdogan im Mittelpunkt steht. Über weitere Gespräche ist mir nichts bekannt", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Steffen Meyer.

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