Warum das Impfen so lange dauert

EU weist Kritik an Einkaufspolitik zurück

Weitere Zulassungen dürften Nachschub beschleunigen

03.01.2021 UPDATE: 04.01.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 40 Sekunden
In Großbritannien kommt nun auch der Impfstoff von AstraZeneca zum Einsatz – in der EU noch nicht. Foto: dpa

Von Verena Schmitt-Roschmann und Theresa Münch

Berlin/Brüssel. Seit einer Woche wird in Deutschland gegen Covid-19 geimpft. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte schon geahnt: "Es wird an der einen oder anderen Stelle auch mal ruckeln." Er sollte Recht behalten. Vielen geht das Impfen zu langsam. Ältere fragen sich, wie sie an den wichtigen Piks kommen. Hintergründe:

Wie viel Impfstoff ist da und wie viel wurde bereits genutzt? Bislang wurden 1,3 Millionen Dosen von Biontech an die Bundesländer geliefert. Laut RKI-Angaben vom Sonntag wurden bislang rund 239.000 Impfungen gemeldet, die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen. Aber selbst wenn man – wie manche Bundesländer – die Hälfte für die zweite Impfung zurücklegt, wurde noch längst nicht alles aufgebraucht.

Warum geht es so langsam voran? Generell könnte es daran liegen, dass vorrangig in Alten- Impfteams fahren dazu in die Heime. Das dauert länger als zentrale Massenimpfungen. Minister Spahn betont, dass im Laufe des Monats alle Pflegeheim-Bewohner geimpft werden.

Wann kommt die nächste Impfstoff-Lieferung in den Ländern an? Am Freitag. Bis Anfang Februar sind jeweils montags drei weitere Lieferungen vorgesehen. Bis 1. Februar sollen weitere 2,68 Millionen Impfdosen an die Länder verteilt werden. Die Bundesregierung rechnet zudem für den 6. Januar mit der EU-Zulassung des Mittels von Moderna. Die genauen Lieferpläne würden dann zügig abgestimmt.

Wie kommt man an einen Impftermin? Wie Über-80-Jährige, die zuhause leben, an ihre Impfung kommen, ist unterschiedlich. In Baden-Württemberg etwa können sie telefonisch buchen, die Hotline 116.117 war zum Start aber teilweise schwer erreichbar. In NRW gibt es noch gar keine individuellen Impftermine. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert: Nicht-mobile Menschen, die zuhause gepflegt werden, seien vergessen worden. Unklar ist auch noch, wie über weitere Schritte informiert wird – ob etwa alle Über-70-Jährigen von Kommunen oder Versicherungen angeschrieben werden.

Hat die EU-Kommission zu wenig bei Biontech bestellt? Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides betont: "Das Nadelöhr ist derzeit nicht die Zahl der Bestellungen, sondern der weltweite Engpass an Produktionskapazitäten", sagt sie. "Das gilt auch für Biontech." Im November wurden bis zu 300 Millionen Dosen bestellt, die auf die EU-Staaten verteilt werden. Vorabverträge gibt es mit fünf weiteren Herstellern. Insgesamt hat die EU so knapp zwei Milliarden Impfdosen gebucht. Das Problem: Bisher hat nur Biontech/Pfizer die EU-Zulassung.

Warum ist die EU-Kommission so vorgegangen? Da lange unklar war, wer wann die Zulassung erhält, wollte die Kommission das Risiko streuen. Unter der Hand ist in Brüssel zu hören: Biontech und Moderna waren für einige Staaten nicht erste Wahl, wegen der neuartigen mRNA-Technologie und wegen der Preise. Ein Tweet einer belgischen Staatssekretärin verriet: Eine Dosis von Moderna kostet umgerechnet rund 15 Euro, von Biontech/Pfizer 12 Euro, von AstraZeneca nur 1,78 Euro.

Setzt die EU auf die falschen Impfstoffe? Das kritisiert Karl Lauterbach (SPD). "Die EU hätte wohl mehr Impfstoff von Biontech und Moderna beschaffen müssen", sagt er. Bei mehr Bestellungen wäre mehr auf Verdacht produziert worden. Die EU hätte mehr ins Risiko gehen sollen, "auch auf die Gefahr hin, dass man viel Geld in den Sand gesetzt hätte." Vom Moderna-Impfstoff, der leicht in Arztpraxen verteilt werden könnte, habe man nur 160 Millionen bestellt. Bei AstraZeneca orderte die Kommission hingegen bis zu 400 Millionen Dosen. Dann gab es Rückschläge bei Tests. In Großbritannien hat der Impfstoff nun die Notfallzulassung, in der EU könnte er einige Wochen später auf den Markt kommen.

Kann die EU noch mehr von Biontech bekommen? Man sei "in fortgeschrittenen Diskussionen" über zusätzliche Lieferungen, sagt Biontech-Chef Ugur Sahin. "Aber es ist ja nicht so, als stünden überall in der Welt spezialisierte Fabriken ungenutzt herum, die von heute auf morgen Impfstoff in der nötigen Qualität herstellen könnten." Erst Ende Januar werde klar sein, ob und wieviel zusätzlich produziert werden könne.

Wann ist Impfstoff für alle da? "Die Situation wird sich Schritt für Schritt bessern", verspricht Kommissarin Kyriakides. Rechnerisch reichen die EU-Bestellungen bei Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca für 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung mit je zwei Spritzen. Sobald alle drei die EU-Zulassung haben, dürfte der Nachschub in Schwung kommen.

Warum kauft Deutschland nicht selbst ein? Spahn betont, dass Deutschland bewusst den europäischen Weg wählte. Dem großen Deutschland wäre wohl vorgeworfen worden, kleine und ärmere EU-Staaten auszubooten. Hinzu kommt die Marktmacht der EU-Kommission.