Unter dem Deckmantel der Pressefreiheit
Die angebliche "Friedensjournalistin" Alina Lipp verbreitet russische Verschwörungsmythen im Netz

Von Sophia Stoye
Donezk. Lächelnd blickt sie mitten im ukrainischen Kriegsgebiet in die Kamera, auf dem Kopf trägt sie einen Stahlhelm. Alina Lipp steht an der Front und spricht in ihr Handy, während sie ihrem Publikum in Deutschland russische Verschwörungsmythen als Wahrheit verkauft. Lipp ist 28 Jahre alt und bezeichnet sich selbst als "Friedensjournalistin" – dabei verbreitet sie unter dem Deckmantel der Pressefreiheit Falschinformationen, die den Narrativen des Kremls verdächtig ähnlich sind.
Bis vor wenigen Jahren saß die Deutsch-Russin für die Grünen im Stadtrat von Hannover, dann stieg sie wegen unterschiedlicher Überzeugungen aus. Auf der sozialen Plattform Instagram folgen ihr 4503 Menschen, bei Telegram haben 136.000 Personen ihren Kanal abonniert. Dort schreibt sie Dinge wie die USA investierten Milliarden von Dollar in die Gehirnwäsche der Deutschen und bezeichnet den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine als "Spezialoperation". Vor der Kulisse zerstörter Häuser beteuert sie, die Ukrainer zerbombten die Städte. Auf ihrem Telegram-Kanal werden nahezu im Minuten-Takt neue "Informationen" gepostet, über 1600 Fotos und 1300 Videos wurden bereits geteilt.
Vermeintliche Augenzeugenberichte und "Interviews" mit Opfern der ukrainischen Armee sollen ihre Falschaussagen dabei genauso stützen wie ein Standbild aus einem Video, das beweisen will, Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj habe kurz zuvor gekokst. So erklärt Lipp ihren Zuschauerinnen und Zuschauern immer wieder, die Ukraine sei 2014 von Faschisten übernommen worden, die im Donbass angeblich auf Zivilisten schießen würden. Dabei sterben laut einem Bericht von "Focus Online" heute wahrscheinlich mehr Ukrainer bei einem einzigen russischen Raketenangriff, als im ganzen Jahr 2021 im Donbass.
Lipp ist nicht die einzige Deutsche, die falsche Informationen zum Ukraine-Krieg teilt. So postete Mitte März eine Frau aus Euskirchen nahe Bonn ein Video, in dem sie weinend auf Russisch erklärte, in Euskirchen hätten ukrainische Geflüchtete einen 16-jährigen, russischsprachigen Jungen zu Tode geprügelt. Sie kenne die betroffene Familie persönlich. Die Falschmeldung verbreitete sich in den sozialen Netzwerken wie ein Lauffeuer – auch Alina Lipp teilte es auf ihrem Telegram-Kanal. Doch der Polizei lagen keinerlei Informationen über eine solche Schlägerei vor, geschweige denn über einen tödlichen Vorfall. Wenig später entschuldigte sich die Frau aus dem Video. Ein weiterer Clip will zeigen, wie Ukrainer in einem russischen Geschäft in Regensburg wüten. Doch laut einem Bericht der Wochenzeitung "Die Zeit" zeigt das Video lediglich einen jahrealten Vorfall mit einem Betrunkenen in der russischen Stadt Uljanowsk.
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Vor allem die Video-Plattform Tiktok des chinesischen Anbieters Bytedance bietet solchen Falschnachrichten einen fruchtbaren Boden. Grund dafür ist der Algorithmus Tiktoks, der Nutzerinnen und Nutzern beispielsweise auch Videos von Kanälen zeigt, denen sie nicht folgen. Bekommt ein Video viele Likes und wird oft angesehen, wird es umso mehr Menschen auf ihrer Startseite angezeigt. Zudem können Beiträge von anderen Nutzern auf Tiktok sehr schnell und einfach wiederverwertet werden, auch welche mit falschen Inhalten.
Und die werden schnell neuen Nutzern angezeigt, wie eine Untersuchung des US-Medien-Start-ups Newsguard ergab. Die Datenanalysten fanden heraus, dass einer bei Tiktok neu angemeldeten Person innerhalb von 40 Minuten falsche oder irreführende Inhalte angezeigt werden – "sowohl pro-russische als auch pro-ukrainische Unwahrheiten". Zum Beispiel fand Newsguard Aufnahmen eines Feuergefechts, das einen Kampf zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten in der Ostukraine zeigt, aber schon aus dem Jahr 2015 stammt. Ebenso tauchten Videos auf, in denen behauptet wurde, dass die USA Biowaffenlabore in der Ukraine betrieben oder das Land von einem neonazistischen Militär geführt werde.
Mit Pressefreiheit kann die Verbreitung solcher Aufnahmen nicht gerechtfertigt werden – ebenso wenig wie Lipps Arbeit. Ihre Artikel werden auf dem Internet-Portal "Anti-Spiegel" veröffentlicht. Betreiber ist der Blogger Thomas Röper, der bereits mehrfach falsche Behauptungen verbreitete. Darunter Verschwörungstheorien wie der russische Angriff auf eine Geburtsklinik in Mariupol sei nur ein Schauspiel gewesen. Später widersprach sich die Seite selbst.