RNZ-Interview Karl Lauterbach

"Die nächsten drei Monate werden leider sehr hart"

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert einen drastischen Shutdown und fürchtet Verteilungskämpfe um den Impfstoff

07.12.2020 UPDATE: 08.12.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 55 Sekunden
Karl Lauterbach spricht sich für eine Verlängerung der Schulferien aus. Foto: dpa

Von Andreas Herholz, RNZ Berlin

Berlin. Karl Lauterbach ist Epidemiologe und Gesundheitsexperte der SPD. Er studierte unter anderem in Aachen Medizin und wurde in Harvard promoviert. Seit 2005 sitzt er im Bundestag.

Herr Lauterbach, die Zahl der Corona-Neuinfektionen geht weiterhin nicht zurück. Reichen die geltenden Beschränkungen aus, oder muss es nun einen harten Lockdown geben?

Wir sollten nicht noch länger warten. Die Zahl der Neuinfektionen bleibt seit Wochen auf hohem Niveau. Es gibt jeden Tag 400 bis 500 Tote. Das dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Wir müssen für die Zeit nach Weihnachten einen härteren Shutdown verhängen. Anders wird es nicht gelingen, das Ziel eines Inzidenzwertes von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen zu erreichen. Es geht darum, die Pandemie in Deutschland so schnell wie möglich wieder unter Kontrolle zu bringen. Sonst steht uns ein sehr schwerer Winter bevor. Je früher die Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten Beschlüsse trifft, um ernsthaft wieder die Kontrolle über die Lage zu bekommen, desto besser.

Sind die Lockerungen zu Weihnachten nicht riskant?

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Das Weihnachtsfest zu feiern ist ein Kompromiss zwischen dem, was medizinisch sinnvoll ist, und dem, was wir einander menschlich schulden. Lockerungen zu Silvester wären völlig unvertretbar. Bei den derzeitigen Zahlen von Todesfällen gibt es nicht wirklich viel zu feiern. Es kann nicht sein, dass, während Tausende auf den Intensivstationen um ihr Leben kämpfen, wir mit noch mehr Infektionen ins neue Jahr feiern.

Warum zeigt der Lockdown light nicht die erhoffte Wirkung?

Es hat sich gezeigt, dass es ein sehr reges Infektionsgeschehen auch in den Schulen gibt. Die privaten Kontakte sind ebenfalls nicht ausreichend zurückgegangen. Es gibt weniger Homeoffice als möglich. Das alles reicht so nicht. Deshalb muss jetzt nachgebessert werden.

Was bedeutet das konkret?

Die Konzentration auf die Hotspots allein bringt uns nicht weiter. Das sorgt nicht dafür, dass sich die Zahl der Kontakte bundesweit deutlich verringert. Wir sollten die Schulferien eine Woche vorziehen und eine Woche bis in den Januar verlängern. Die Kontaktbeschränkungen auf fünf Personen aus zwei Haushalten sollten wieder direkt nach Weihnachten gelten. Auch die Ladengeschäfte sollten direkt nach dem Fest bis einschließlich der ersten Januar-Woche geschlossen werden.

Im neuen Jahr soll mit den Corona-Impfungen begonnen werden. Doch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn rechnet bereits mit Verteilungskämpfen um die vorhandenen Dosen. Droht uns jetzt also ein Mangel an Impfstoff?

Das Maximum, was wir bis Ende März erwarten können, ist Impfstoff für fünf Millionen Menschen. Mehr haben wir nicht. Wir müssen davon ausgehen, dass selbst Ende März 78 Millionen Deutsche nicht geimpft sein werden. Deshalb noch einmal: Wir müssen die Zahl der Infektionsfälle deutlich reduzieren. Wir müssen die Weihnachtsferien nutzen, um in dieser Zeit über einen drastischen Shutdown wieder die Kontrolle zu gewinnen. Sonst werden wir über Monate hinweg große Schwierigkeiten haben. Das wäre auch menschlich nicht vertretbar. Wir würden bis Ende Januar mit zusätzlichen 25.000 Todesfällen rechnen müssen. Wir wären gut beraten, die Menschen in den Pflegeheimen zuerst zu impfen sowie Menschen über 80 Jahre. Die nächsten drei Monate werden leider sehr hart werden.