Von Klaus Welzel
Heidelberg. Seit Anfang April informiert Hans-Georg Kräusslich im RNZ-Podcast über die Corona-Situation. Heute geht es um den Sinn der Schutzmaßnahmen und die Frage, wo das richtige Maß bei Lockerungen liegt?
Prof. Kräusslich, was sagen Sie denn zu den Lockerungsplänen in Österreich und Frankreich, wo das normale Leben bald wieder Einzug hält?
Jedes Land reagiert entsprechend der jeweiligen Situation unterschiedlich. In Frankreich sind die Restriktionen viel umfangreicher als bei uns. Das sollte man bedenken, wenn jetzt die ersten Schritte in Richtung Lockerungen gemacht werden. Jedes Land wird da eigene Schritte wählen. Es geht dabei auch darum, dass eine Perspektive erkennbar wird.
Also kein leichtfertiges Handeln?
Sollten die Infektionszahlen in Österreich in zwei, drei Wochen wieder hochgehen, was hoffentlich nicht eintritt, würde die Regierung die Entscheidung, dass man die Gastronomie Ende Mai öffnet, vermutlich überdenken. Dies ist also vor allem eine Perspektive, die man notfalls revidieren kann. Ich denke, dass es richtig und wichtig ist, solche Perspektiven aufzuzeigen und wir in Deutschland ähnlich verfahren werden.
Gerade aus badischer Sicht liegt Frankreich doch sehr nahe. Haben Sie nicht die Bedenken, dass die Epidemie von dort wieder neu aufflammt, sobald die Maskenpflicht am 11. Mai entfällt?
Bedenken und Sorgen hat man bei jedem Schritt, aber aus Sorge überhaupt nicht voranzugehen, ist nicht vernünftig. Ich persönlich hätte es für besser gehalten, die Maskenpflicht zumindest in öffentlichen Innenräumen, also vor allem in den Geschäften, beizubehalten. Der Sinn einer graduellen Lockerung besteht ja darin, dass man nicht wieder massiv gegensteuern muss, wenn sich die Infektionszahlen wieder erhöhen sollten – aber wir werden sehen.
In Nordrhein-Westfalen, wo das Coronavirus vor allem im Kreis Heinsberg ausbrach, lag die Zahl der Sterbefälle im März niedriger als im März 2019. Welchen Schluss kann man daraus ziehen?
Man kann daraus nicht schließen, dass dies auch ohne die Schutzmaßnahmen so gewesen wäre. Man sollte vielmehr den Schluss daraus ziehen, dass die Pandemie sich wegen der Maßnahmen nicht so ausgewirkt hat und deswegen die Zahl der Schwerstkranken, der zu beatmenden Patienten nicht so hoch wie befürchtet war und nicht zu einer Erhöhung der Todeszahl geführt hat.
Also eine positive Bilanz dank der Schutzmaßnahmen …
… ich denke, es ist sinnvoll, dorthin zu schauen, wo man es nicht so gut hinbekommen hat und wo sich die Situation viel dramatischer entwickelt hat: also Norditalien, Ostfrankreich und insbesondere New York. New York zeigt uns, wie der Erreger und die Erkrankungen das System weitgehend überfordern und dann zu vielen Todesfällen führen können – durch Covid selbst und durch andere Krankheiten. Retrospektiv vorherzusagen, was in Deutschland passiert wäre, wenn man die Maßnahmen nicht getroffen hätte, ist kaum möglich. Ich denke, die überzeugendste Antwort besteht darin, den Vergleich mit anderen Regionen zu ziehen, wo es anders lief.
Die hiesige Region weist sehr gute Werte auf. Haben wir damit auch die ersten Lockerungen – Öffnung der Geschäfte – gut überwunden?
Wir haben die erste Phase dieser Pandemie sehr, sehr gut überwunden – die Rhein-Neckar-Region noch besser als der Rest von Baden-Württemberg. Trotzdem kann die Pandemie zurückkommen, deshalb ist es sinnvoll, dort vermehrt zu testen, wo wir jetzt lockern; also in Schulen und in der Kindernotbetreuung.
Weinheim weist sehr hohe Zahlen auf – 129 Fälle. Gibt es irgendeinen Verdacht, woran das liegen könnte?
Das ist eine Frage, die vom Gesundheitsamt beantwortet werden muss. Generell hängt die Zahl der Infizierten in einer Region vor allem davon ab, ob sich der Erreger in der Bevölkerung eine gewisse Zeit unerkannt ausbreiten kann, also anfangs unentdeckt geblieben ist. Zudem war in Weinheim eines der Heime betroffen.
Das Bundeskabinett plant einen Corona-Immunitätsausweis für den Fall, dass jemand nachweislich ausreichend Antikörper besitzt. Würden Sie das als sinnvoll erachten?
(unterdrückt einen Lacher): Wenn man diesen Vorbehalt erfüllen kann: Ja. Aber wer sollte eine Garantie abgeben können, dass jemand wirklich immun ist? Ich halte das momentan für eine nicht realistische Erwartungshaltung. Wir wissen, dass infizierte Personen Antikörper entwickeln, oft aber erst relativ spät. Wir wissen aber nicht genau, ob diese Antikörper immer schützen. Ich würde deshalb dringend davon abraten, Person X einen Pass auszustellen, sie sei immun und könne nicht mehr erkranken. Und ich verstehe auch nicht, wieso man eine solche Garantie überhaupt geben sollte.