Von Klaus Welzel
Heidelberg. Kann das, was bei Tieren gut funktioniert, auch Menschen nützen? Hans-Georg Kräusslich, der seit Ende März für die RNZ die Coronalage analysiert, zeigt sich zuversichtlich. Aber ein Rest Skepsis bleibt.
RNZ-Corona-Podcast - Folge 27: Die Unwägbarkeiten des neuen Corona-Impfstoffs
Interview: Klaus Welzel / Schnitt und Produktion: Reinhard Lask
Prof. Kräusslich, Biontech und Pfizer haben in dieser Woche einen Impfstoff präsentiert, der angeblich zu 90 Prozent vor Corona schützt. Würden Sie sich das Serum spritzen lassen?
Zunächst einmal ist es kein Serum, sondern ein Impfstoff, der auf synthetisch hergestellter Erbinformation für ein Eiweiß des Sars-Coronavirus besteht. Die Frage, ob ich mir den Impfstoff spritzen lasse, stellt sich erst, wenn der Impfstoff seine Zulassung erhalten hat und vom Paul-Ehrlich-Institut freigegeben wurde; vorher bekomme ich ihn gar nicht. Und außerdem würde ich gerne die genauen Daten vorher kennen.
Welche Daten fehlen Ihnen noch zur Beurteilung?
Bisher gibt es nur eine allgemeine Mitteilung des Herstellers. Die genauen Ergebnisse der Studien kennen wir noch nicht. Also zum Beispiel, wie gut Antikörper in verschiedenen Altersgruppen induziert wurden und ob der Schutz altersabhängig unterschiedlich ist. Bestimmte Impfstoffe, wie z.B. gegen die Virusgrippe, wirken bei älteren Menschen nicht so gut wie bei Jüngeren. Je nach Ergebnis sollte man den Impfstoff so einsetzen, dass er optimalen Nutzen bringt.
Es handelt sich um einen sogenannten mRNA-Impfstoff. Beinhaltet diese Technik besondere Risiken?
Im Grunde nein. mRNA ist das Botenmolekül, das Erbinformation in Eiweiß übersetzt und das hier künstlich zur körpereigenen Produktion eines Antigens des Sars-Coronavirus hergestellt wurde. Bisher wurden mRNA-Impfstoffe allerdings noch nicht für den Menschen entwickelt, sondern nur bei Tieren. Wir haben also keine längeren Erfahrungen beim Menschen über die aktuellen Studien hinaus. Das ist bei anderen Impfstoffen anders. Ich sehe aktuell keinen Grund, besondere Risiken zu erwarten, aber es gibt eben noch keine langjährigen Erfahrungen.
Weltweit gibt es ungefähr zehn Impfstoffe, die derzeit kurz vor der Zulassung stehen – bis wann, vermuten Sie, werden die Impfkampagnen Wirkung zeigen?
Das wird noch etwas dauern. Biontech und Pfizer sind jetzt die Ersten. Um die Jahreswende und im ersten Quartal 2021 werden andere folgen. Dann dauert es noch etwas mit der Produktion in großem Maßstab. Ich hoffe, dass wir im zweiten und dritten Quartal breiter in der Bevölkerung impfen können. Dann könnten wir im Herbst 2021 bereits einen erheblichen Teil der Bevölkerung erreicht haben, wenn jahreszeitlich bedingt die Infektionen wieder ansteigen.
Impfstoffe müssen stark gekühlt werden, bis zu minus 80 Grad. Wie kann das in Entwicklungsländern funktionieren, wenn die Wege teilweise extrem lang sind?
Das ist eine wichtige Frage, die auch begründet, weshalb unterschiedliche Impfstoffe entwickelt werden müssen. Es gibt ja nicht nur die mRNA-Technik, sondern auch Impfstoffe auf anderer Grundlage, die anders transportiert und gelagert werden. Insofern könnten für unterschiedliche Regionen verschiedene Impfstoffe entwickelt werden. Die müssen natürlich die gleichen Sicherheitsstandards erfüllen!
In China werden angeblich bereits Hunderttausende einer Impfung unterzogen – was kann denn alles schief gehen bei so einer Aktion?
Natürlich kann es bei Impfungen Nebenwirkungen geben, auch schwere. Deshalb gibt es ja die drei Testphasen vor der Zulassung. Biontech hat jetzt eine Studie mit ca. 45.000 Personen durchgeführt, davon eine Hälfte geimpft, die andere nicht, um die Gruppen zu vergleichen. Wie genau in China getestet wurde, wissen wir nicht. Wir würden aber natürlich keinen Impfstoff einsetzen, der in Europa – nach den oben geschilderten Kriterien – keine Zulassung hat.
Am Freitag hat das Robert-Koch-Institut wieder über 23.000 Neuinfektionen an einem Tag gemeldet. Ihre Prognose: Kann der Lockdown light Endes des Monats beendet werden?
Ich weiß es nicht. Die Zahlen geben Anlass zu vorsichtiger Hoffnung, dass der Höhepunkt des Anstiegs überschritten sein könnte. Derzeit können wir aber noch nicht sicher beurteilen, was die am 2. November begonnenen Maßnahmen bewirken, dies wird nächste Woche klarer. Wenn wir dann einen deutlichen Abfall sehen und am kommenden Freitag z.B. 16.000 statt heute 23.000 Neuinfektionen gemeldet bekommen, wäre das ein Erfolg. Stagniert die Zahl dagegen oder steigt sie trotz der Maßnahmen weiter, wird man sicher neu nachdenken müssen, was zu tun ist.
Letzten Sonntag demonstrierten 20.000 Menschen im Leipzig ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen. Was glauben Sie: Werden dadurch die Infektionen messbar nach oben gehen?
Wahrscheinlich wird man das eher nicht sehen. Nach meiner Kenntnis kamen Teilnehmer von überall her, auch aus umliegenden Ländern. Angesichts dieser Verteilung und der ohnehin hohen Zahl von Neuinfektionen wird man den Effekt nicht spezifisch zuordnen können; das wäre anders, wenn insgesamt wenige Infektionen auftreten würden.
Heidelberg meldet mittlerweile eine Infektionsrate von über 170, das ist deutlich mehr als im Landes- und im Bundesdurchschnitt. Müssen wir uns Sorgen machen?
Nicht speziell deswegen. Wir hatten zuletzt leider wiederholt Ausbrüche in Heimen; das erhöht dann schnell den Wert, bildet aber das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung insgesamt nicht wirklich ab. Es ist also nicht entscheidend, ob die Infektionsrate kurzfristig auf 170 hoch oder wieder auf 120 runtergeht. Man muss das gesamte Geschehen im Blick behalten.
Thema Intensivbetten: Allmählich wird es an vielen Kliniken eng – wie ist die Situation in Heidelberg?
Wir versuchen, die Kapazität bedarfsgerecht zu steuern, dazu haben wir die Taskforce am Klinikum und dafür gibt es eine regelmäßige Absprache der Ärztlichen Direktoren der Krankenhäuser in der Region. Aktuell können alle Patienten, die dies benötigen, in den Intensivstationen gut versorgt werden. Auf Grundlage der aktuellen Daten berechnen wir jeweils den erwarteten Bedarf für die nächsten vier oder fünf Tage und steuern entsprechend nach.
In Sinsheim werden die Intensivbetten dennoch allmählich knapp. Gibt es einen festen Plan, wohin verlegt wird, wenn die Intensivbetten in einer Klinik voll belegt sind?
Es gibt eine Koordinierungsstelle, die stets den Stand der Belegung in den Kliniken der Region hat, auch der Intensiv- und Beatmungsplätze. Darüber kann die Zuweisung der Patienten gesteuert werden – rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche. Wenn eine gesamte Region überlastet wäre, würden überregionale Steuerungsmechanismen greifen. So haben wir zum Beispiel am Uniklinikum und an der Thorax-Klinik im Frühjahr Patienten aus anderen Regionen Baden-Württembergs sowie aus Frankreich übernommen. Den Zustand, dass Deutschland insgesamt überlastet ist, hatten wir zum Glück bisher nicht.
Meist gibt es ja genug Betten, aber zu wenig ausgebildetes Personal für die Intensivpflege. Kann man da normales Pflegepersonal auch kurzfristig umschulen?
Nein, man kann nicht im Rahmen eines Crashkurses in zwei Wochen aus einem Pfleger einen Intensivpfleger machen. Die Ausbildung ist viel aufwändiger.
Wie gut kommen wir Ihrer Meinung nach durch die Pandemie?
Ich bin verhalten optimistisch, würde aber gerne die nächsten ein bis zwei Wochen abwarten. Wenn dann die Zahlen deutlich zurückgegangen sind, wäre ich deutlich positiver, als ich das heute sein kann.
Info: Alle 27 Podcast-Folgen zum Nachhören: www.rnz.de/corona-podcast