Von Klaus Welzel
Heidelberg. Seit Ende März berichtet Hans-Georg Kräusslich über die Corona-Pandemie im RNZ-Podcast (hier geht es zu allen bisherigen Folgen). Heute spricht der Chefvirologe am Universitätsklinikum über die Gefahren einer Urlaubsreise. Er selbst, das verriet der Dekan der Medizinischen Fakultät in einer früheren Folge, hat seinen Ferientrip fest geplant. Seine Devise: Die Einhaltung der Abstands- und auch der Hygieneregeln ist wichtiger, als die Frage, wo man eine Zeit verbringt. Deshalb sei ein Aufenthalt an der Heidelberger Neckarwiese genauso risikoarm oder auch risikoreich wie der Urlaub an der Ostseeküste.
Prof. Kräusslich, vor 13 Wochen haben wir unseren Podcast begonnen. Was wissen Sie mittlerweile über das Coronavirus, was Sie damals noch nicht wussten?
Es gibt natürlich sehr viel, was wir mittlerweile zusätzlich wissen, weil das Virus ja neu ist. Wir wissen viel besser, wie sich der Erreger vermehrt. Wir haben verstanden, dass es keine reine Lungenkrankheit ist, sondern sehr viel Organe beteiligt sein können. Wir haben gelernt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung in der frühen Phase, sogar vor Beginn der Symptome, am höchsten ist. Wir wissen jetzt, dass Kinder weniger erkranken und auch seltener infiziert sind. Wir haben gelernt, dass der Wirkstoff Remdesivir in Studien eine gewisse Wirksamkeit zeigt. Wir haben viel bessere Antikörpertests, und wir haben gelernt, dass durch die einschneidenden Maßnahmen im März und April die Epidemie gut unter Kontrolle gebracht werden konnte.
Sie haben anfangs gesagt, dass wir uns im Juni hoffentlich nicht mehr in diesem Rahmen unterhalten müssten. Ist das ein schlechtes Zeichen, dass wir es immer noch tun?
Ich rede ja gerne mit Ihnen (lacht), insofern ist es kein schlechtes Zeichen. Aber das Bedürfnis nach Information ist innerhalb Ihrer Leserschaft und allgemein in der Bevölkerung nach wie vor hoch. Was ich damals meinte, war vor allem, dass wir hoffentlich nicht mehr über Fragen sprechen müssen, wie: Wie schaffen wir ausreichend Intensivkapazität in unseren Kliniken? – oder: Kommt jetzt die zweite Welle? Das ist zum Glück im Moment kein Thema und der Juni war für mich der Zeithorizont, bis zu dem wir dies wissen und die Epidemie in Deutschland hoffentlich eingedämmt haben. Und diese Hoffnung hat sich erfüllt.
Wie groß ist die Gefahr, die von Europas größter Fleischfabrik, Tönnies, im Kreis Gütersloh ausgeht?
Wir haben zunächst einmal die Tönnies-Mitarbeiter selbst, von denen über 1000 positiv getestet worden sind. Das ist erschreckend, passt aber leider zu den anderen Ausbrüchen in der Fleischindustrie. Wichtig ist jetzt, ob sich das Virus weiter ausbreitet. Dafür gibt es im Moment keinen Hinweis, die meisten Tests sind negativ.
... von zunächst 2000 Untersuchten wurde eine Person positiv getestet.
Entscheidend ist es, die Ausbreitung schnell einzugrenzen und Kontakte zu testen und zu isolieren. Wenn das erfolgreich verläuft, ist das Geschehen schnell unter Kontrolle.
Kann das Virus durch bereits verkaufte Waren übertragen werden?
Nein, da würde ich keine Gefahr sehen. Das Virus wird nur in geringem Maß über Kontakte weitergegeben. Für die verarbeiteten Wurst- und Fleischwaren scheint mir das Risiko vernachlässigbar gering.
Wir haben Badewetter, wie groß ist denn die Ansteckungsgefahr in Seen und Freibädern?
Ich möchte es einmal so formulieren: Das Risiko ist die Mensch-zu-Mensch-Ansteckungsgefahr und nicht die Wasser-zu-Mensch-Ansteckungsgefahr (lacht).
Das geht einher, weil man in Freibädern und an Stränden sich nun einmal sehr nahe kommen kann.
Genau, aber die Ansteckungsgefahr ist an der Neckarwiese genauso gegeben. Und im Freien ist die Ansteckungsgefahr deutlich geringer als in geschlossenen Räumen; zusätzlich haben wir derzeit nur sehr geringe Fallzahlen.
Wie ist das im Flugzeug: Sind das Virenschleudern?
Dazu gibt es unterschiedliche Berichte. Und ich bin nicht ausreichend mit der Lüftungstechnik in Flugzeugen vertraut, um das sicher beurteilen zu können. In der Lüftungsanlage selbst wird die Kabinenluft durch sogenannte Hepa-Filter gefiltert, die Viren zurückhalten, das ist also kein Problem. Auf der anderen Seite wird die Luft aber durch die Düsen über den Sitzen verwirbelt und auch ein oder zwei Reihen weitergetragen. Und so kann auch das Virus verbreitet werden.
Generell fällt mir auf, dass es eine regelrechte Inflation an vorveröffentlichten Corona-Studie und Forschungen gibt. Sehen sie das ähnlich?
Das ist in der Tat auffällig und hat es so auch noch nicht gegeben. Viele Ergebnisse und Studien werden in die Öffentlichkeit gebracht, bevor sie einen Peer-Review in einer anerkannten Fachzeitschrift durchlaufen haben–das trifft auch auf unsere baden-württembergische Eltern-Kind-Studie zu. Sie werden zunächst als Vorabpublikationen online hochgeladen und in der Presse publik gemacht. Der Grund für diese Entwicklung ist, dass wir in einer Pandemie-Situation sind, die enorme wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenzen mit sich bringt. Die Bereitschaft, sehr früh wissenschaftliche Ergebnisse mit allen zu teilen, ist vor diesem Hintergrund etwas sehr Gutes, weil alle Kollegen sofort ihre eigene Wissenschaft auf diese Erkenntnisse ausrichten können. Es birgt aber auch ein Risiko, da diese Ergebnisse und Studien eben noch nicht durch den Qualitätssicherungsprozess der Begutachtung gegangen sind. Wenn dann der Diskurs verkürzt öffentlich wiedergegeben wird, ist das natürlich schädlich.