"Die Regierung muss eine Vermittlerrolle einnehmen", fordert Gregor Gysi. Foto:dpa
Von Andreas Herholz, RNZ Berlin
Berlin. Gregor Gysi sitzt für die Linken im Bundestag und ist Vorsitzender der Europäischen Linken.
Herr Gysi, Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Luftschläge gegen Assad erforderlich und angemessen. Wie bewerten Sie den Angriff?
Dieser Militärschlag war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Weder die USA noch Frankreich oder Großbritannien sind von Syrien angegriffen worden. Das ist kein Verteidigungskrieg. Der Einsatz von Chemiewaffen ist natürlich auf der anderen Seite ebenso völkerrechtswidrig. Warum hat man nicht die Untersuchungen der unabhängigen Experten abgewartet? Alles spricht dafür, dass es einen Giftgasangriff gegeben hat. Aber wir wissen nicht, wer dafür die Verantwortung trägt. Es gibt sicher Geheimdienste, die an einer Zuspitzung des Krieges interessiert sind und deren Interesse es ist, dass die Kluft zwischen Russland und dem übrigen Europa wächst. Das kann die Lage weiter zuspitzen.
Aber der Chemieangriff kann doch nicht einfach hingenommen werden…
Natürlich muss man etwas gegen den Einsatz von Chemiewaffen tun. Aber erst muss aufgeklärt werden. Auf den ersten Blick scheint der Angriff von Assad ausgegangen zu sein. Es könnte aber auch eine Provokation anderer sein, die glauben machen wollen, dass es Assad war. Ich kann nicht erkennen, warum ein solcher Angriff im Interesse von Russland und Assad liegen sollte. Da sehe ich kein Motiv, zumal Trump seine Truppen gerade abziehen wollte. Man sollte sich nur an den Irak-Krieg erinnern. Da waren sich die Regierungen und Geheimdienste der USA und von Großbritannien völlig einig, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügt. Er hatte aber keine. Wir brauchen erst einmal völlige Aufklärung. Ich hoffe, dass die amerikanischen Militärs Präsident Trump gebremst und sich im Hintergrund mit Russland ausgetauscht haben, um eine Eskalation in Syrien zu verhindern. Wenn es bei diesem einen Luftschlag bleibt, könnte noch eine Chance bestehen, dass man zur Diplomatie zurückkehrt. Wenn sich die USA und Russland weiter gegenseitig schädigen und schwächen, profitiert China davon. Liegt das wirklich im Interesse von Washington oder Moskau?
Was kann die Bundesregierung tun?
Leider hat die Bundesregierung keine Vermittlerrolle übernommen. Es kann doch nicht sein, dass wir im Kalten Krieg einen dritten Weltkrieg verhindert haben, und jetzt steuern wir womöglich darauf zu. Die Kanzlerin muss jetzt entschlossen handeln. Die Regierung muss jetzt die Rolle einer Vermittlerin einnehmen. Das geht nur, wenn man sich gegenüber beiden Seiten, Washington und Moskau, in dieser Frage einigermaßen neutral verhält. Die Kanzlerin sollte beide Seiten an einen Tisch holen. Sie könnte jetzt mit Putin und Trump telefonieren, die Interessen ausloten und versuchen, eine Eskalation zu verhindern. Aber Frau Merkel ist nicht mehr die unumstrittene Nummer Eins in Europa. Das hat sich wohl erledigt. Die Kanzlerin ist nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch amtsmüde. Es war ein schwerer Fehler, dass man Russland nach Fall des Eisernen Vorhanges nicht mehr ernst genommen hat. Wir müssen jetzt einen Weg des Interessenausgleichs finden und eine Möglichkeit, die Sanktionen gegen Russland so schnell wie möglich aufzuheben.
Die Kanzlerin hat eine Beteiligung Deutschlands an Militäraktionen gegen Syrien ausgeschlossen…
Alles andere wäre auch Wahnsinn. Wir haben Bundeswehrsoldaten in Jordanien und in der Türkei stationiert, die von dort die Daten und Bilder aus Syrien an die Streitkräfte der USA, Frankreichs, Großbritanniens und der Türkei senden. Die Türkei führt gerade einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Syrien, um die Kurden zu bekämpfen, die an der Seite des Westens gegen den Islamischen Staat kämpften. Die Bundeswehr muss also aus Jordanien und der Türkei zurückgezogen werden.