Die Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban muss vorerst keinen Rauswurf aus der Europäischen
Volkspartei (EVP) fürchten. Foto: dpa
Von Michael Abschlag
Berlin/Heidelberg. Beinahe wäre Tamas Deutsch aus seiner Fraktion geflogen. Der ungarische Europaabgeordnete hatte immer wieder mit Äußerungen für Kritik gesorgt, auch in den eigenen Reihen. Deutsch ist Mitglied der umstrittenen ungarischen Regierungspartei Fidesz – und als solcher auch der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament. Es ist ein Fall mit Sprengkraft.
Was ist das Problem mit Fidesz? Die rechtsnationale Partei des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban steht in der Kritik: In ihrem eigenen Land betreibt sie seit Jahren den Abbau der Demokratie, höhlt den Rechtsstaat aus und schränkt die Pressefreiheit ein. Hinzu kommen Hetzkampagnen gegen Orbans Intimfeind, den Milliardär Georg Soros, oft mit antisemitischer Tendenz. Auch gegen andere Minderheiten wie Homosexuelle macht die Partei Stimmung. Brisanterweise wurde erst kürzlich ein Fidesz-Mitglied bei einer Schwulen-Party in Brüssel ertappt – mitten im Lockdown. Das Verhalten der Fidesz bringt auch andere in Bedrängnis, denn sie ist Mitglied in der konservativ-christdemokratischen Parteienfamilie EVP, ebenso wie CDU und CSU. Beide lehnen bisher einen Ausschluss von Fidesz ab.
Worum geht es in dem aktuellen Fall? Tamas Deutsch hatte den CSU-Politiker und EVP-Fraktionschef Manfred Weber scharf attackiert. Deutsch bezog sich dabei auf Webers Verteidigung des Europäischen Rechtsstaatsmechanismus, den Polen und Ungarn zuletzt zu blockieren versucht hatten. "Weber sagt, wer nichts zu verstecken habe, der habe auch nichts zu befürchten", so Deutsch. "Ich erinnere mich genau, dass die Gestapo und der ungarische Geheimdienst AVH denselben Slogan hatten." Weber hatte zuvor gesagt: "Jeder, der für sich in Anspruch nimmt, dass er die Unabhängigkeit der Medien und der Justiz nicht behindert, muss vor dem neuen Rechtsstaatsmechanismus keine Angst haben." Darauf, dass die Gestapo einen ähnlichen Satz verwendet habe, gibt es keinen Hinweis.
Wie waren die Reaktionen? Verheerend. "Immer öfter schmähen Repräsentanten der Fidesz-Partei mit unerträglichen Nazi-Vergleichen die Demokratie und deren Repräsentanten in Europa", erklärte etwa Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees. "Für Überlebende des Holocaust ist dieser schamlose Missbrauch ihrer Erfahrungen zunehmend schwer erträglich."
Wie ist der aktuelle Umgang mit Fidesz? 2019 wurde die Mitgliedschaft der Fidesz in der EVP suspendiert. Das gilt aber nur für die Ebene der Partei. Anders verhält es sich mit der Fraktion: Sie besteht rechtlich gesehen aus Einzelmitgliedern, die Parteizugehörigkeit ist nicht entscheidend. Man müsste also alle zwölf Fidesz-Abgeordneten einzeln ausschließen.
Welche Rolle spielt die Union? Die CDU/CSU ist die größte Gruppe innerhalb der EVP. Bisher haben die Christdemokraten sich gegen einen Ausschluss der Fidesz-Abgeordneten ausgesprochen: Offiziell will man die ungarischen Abgeordneten durch Dialog einbinden und so zähmen. Daneben dürfte aber auch die Sorge eine Rolle spielen, mit den Fidesz-Abgeordneten auch die Mehrheit im Parlament zu verlieren. Sollten die ungarischen Abgeordneten sich mit anderen Rechtspopulisten zusammentun, könnten sie womöglich zu einem gefährlichen Gegner werden.