Debatte über Alltagsrassismus in Heidelberg

"Nicht verkrampfen", meint SPD-Mann Karamba Diaby

Man wird doch wohl noch fragen dürfen? Diaby sprach im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma.

08.03.2019 UPDATE: 09.03.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden

"Im Umgang nicht verkrampfen": die SPD-Abgeordneten Karamba Diaby (l.) und Lothar Binding. Foto: Philipp Rothe

Von Sören S. Sgries

Heidelberg. Fünf Jahre alt ist Melissa, sie tanzt gerne, ihr Schaf heißt Elsa und sie trägt nach eigener Überzeugung "echte Diamanten" um den Hals. Das erzählt sie bereitwillig in der RTL-Castingshow "Das Supertalent". Melissa kommt aus der Ruhrpott-Großstadt Herne. Doch Juror Dieter Bohlen wüsste gerne mehr: Wo Mama und Papa herkommen? "Auch in Herne." Und Oma und Opa? "Ich weiß es nicht" - und man glaubt fast, einen genervten Unterton bei der Fünfjährigen zu hören. Schließlich wendet sich der Musiker an die Mutter und bekommt die ersehnte Antwort: Thailändische Wurzeln habe die Familie. Melissa darf tanzen.

Die Sendung stammt vom 24. November 2018. Doch der kurze Ausschnitt mit Melissa wird aktuell im Netz heiß diskutiert, seit der bayerische Journalist Malcolm Ohanwe über ihn stolperte. "Sie hat Dir drei mal gesagt, dass sie aus Herne ist, und Du überforderst das Mädel mit der Einwanderungsgeschichte ihrer Großeltern", twitterte er und stieß damit eine neue Debatte über Alltagsrassismus an.

Man wird doch wohl noch fragen dürfen? Wenn es nur so einfach wäre. Unter dem Hashtag "#vonhier" berichten Menschen, die den "falschen" Namen, die "falsche" Haarfarbe oder Haut haben von quälender Fragerei nach der Herkunft.

Harmloses Interesse oder bewusste Ausgrenzung? Spiegel-Kolumnistin Ferda Ataman findet deutliche Worte: "So wie die Frage meistens gemeint ist, könnte sie auch lauten: Du bist offensichtlich nicht volksdeutsch, welcher Ethnie gehörst du an?"

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Aus der virtuellen Sphäre von Twitter und Facebook auf die "reale" Bühne holte die Diskussion jetzt die Heidelberger SPD. Im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma sprach unter anderem der Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby am Donnerstagabend über den alltäglichen Rassismus.

Also, Herr Diaby, darf man denn nun "Woher kommst du" fragen? Na klar, so der SPD-Mann aus dem sachsen-anhaltinischen Halle. "Wir müssen aufpassen im Umgang miteinander, dass wir nicht verkrampfen." Allerdings sei doch auffällig, dass das oft die allererste Frage sei, die ihm gestellt werde. Man könne ihn doch nach seiner Brille, nach seinem Hemd, nach seinem Doktortitel fragen. Und dann, irgendwann, sei es okay, wenn die Herkunft angesprochen werde. "Aber, verdammt noch mal, nicht nach 30 Sekunden!"

Polizisten, die ihn herablassend behandeln? Einfach mal so am Bahnhof kontrollieren wollen? Lieber mit seiner Fahrerin als mit ihm sprechen? Auch das kennt der 57-Jährige. Wie so viele, die nicht zu dem "typisch deutschen" Bild passen, das irgendwie in den Köpfen verankert ist. Doch er ist inzwischen privilegiert. Er kann den Ausweis zücken und sich so als Abgeordneter zu erkennen geben. Diaby kam aus dem Senegal in die DDR, ist seit 2001 deutscher Staatsbürger und wurde 2013 das erste Mal für die SPD in den Bundestag gewählt. 

Der Ausweis hilft meistens, aber nicht gegen den Hass, der sich im Internet Bahn bricht. Hier zeigen ihn Fotomontagen als Affen, es gibt schlimmste Beleidigungen, Angriffe auf den "Afrikaner" auch von anderen Abgeordneten im Parlament. All das muss Diaby regelmäßig ertragen. Was das mit ihm mache? Eine Hassrede habe ihm auch mal die Tränen in die Augen getrieben, sagt er. Aber: "Diese Menschen sind lauter, aber sind nicht die Mehrheit."

Man könnte es für wohlfeil halten, wie hier im Kreise eigentlich Gleichgesinnter, in der "Blase" diskutiert wird. "Wir gehen ja gerade nicht in den Nahkampf mit den Rassisten", kritisiert jemand aus dem Publikum.

Einerseits plagen die SPD Schuldgefühle wegen der gesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahren. Als der Heidelberger Abgeordnete Lothar Binding feststellt, dass die politische Sprache sei "härter", "grobschlächtiger" geworden sei, verweist Diaby darauf, der "Vorreiter der neuen deutschen Gehässigkeit" sei vor neun Jahren Thilo Sarrazin gewesen. Der ist noch immer ein SPD-Mitglied.

Andererseits ist man sich der eigenen Unsicherheiten bewusst. "Wir sind alle rassistisch, wir sind alle sexistisch, weil wir so aufgewachsen sind", sagt Johannah Illgner, Mitglied im Kreisvorstand der SPD Heidelberg. "Das muss man alles erstmal wieder entlernen." Emran Elmazi, Vertreter der Roma auf dem Podium, sagt: "Ich habe auch meine Klischees und Vorurteile. Die Frage ist: Wie gehe ich damit um?" Daran zeige sich, ob eine Gesellschaft bereit sei, auch unangenehme Fragen zu stellen. Dahin gehen, "wo es wehtut".

Wer glaube, früher sei das mit dem Rassismus viel schlimmer gewesen, heute sei doch eigentlich alles gut, der täusche sich, sagt Elmazi. "Der Alltag zeigt: Das ist nicht der Fall."

Der Alltag oder eine TV-Show mit einer fröhlichen Fünfjährigen aus Herne.