Fieberkontrolle in Peru. Foto: dpa
Von Daniel Bräuer
Heidelberg/Olmos. Gott sei Dank ist Narciso Cristano ein gläubiger Mensch. "Ich bete, das ist alles, was ich machen kann", erzählt er am Telefon aus Olmos, einer Kleinstadt im Norden Perus. 15.000 Einwohner, das nächste Krankenhaus ist zwei Autostunden entfernt in der Provinzhauptstadt Chiclayo. Bekannte dort warnen, gar nicht erst herzukommen. Als Crisanto vor einigen Wochen selbst an Fieber und Schmerzen litt, hat er es versucht. "Es war sinnlos", erzählt er. Die staatlichen Kliniken sind heillos überfüllt.Und die privaten? "Die nehmen nur Leute, die viel Geld haben."
Und daheim in Olmos gibt es kaum Medikamente, erst recht keine Beatmungsgeräte. Einige Bürger haben auf einem Sportgelände eine provisorische Isolierstation aufgebaut, Zelte statt Zimmer, Praktikanten statt Ärzte.
Narciso Crisanto. Foto: Rothe"Ich habe viele Bekannte verloren", so Crisanto. Gemeinsam mit seiner Frau, einer Heidelberger Klinikärztin, hat er in Olmos eine Schule aufgebaut. Mitte Juni etwa starb der Vater von drei Schülern. "Wir werden der Familie beistehen", schreibt Crisanto in seinem Blog.
Wie viele Menschen in Olmos und Umgebung wirklich an Covid-19 erkrankt und gestorben sind, wisse niemand. Es gebe kaum Testmöglichkeiten, erzählt Crisanto. Doch schon die verfügbaren Zahlen zeichnen ein düsteres Bild: Mit mehr als 320.000 Infektionen hat Peru die fünftmeisten Fälle auf dem Globus. Gemessen an den Einwohnern sind das mehr als in den USA oder Großbritannien, rund ein Prozent der Bevölkerung ist infiziert, kaum ein Flächenland hat es so stark getroffen. Landesweit sind fast 12.000 Patienten gestorben, nach Bevölkerung fast viermal so viele wie in Deutschland.
Während es in Europa gelungen ist, die Infektionskurven abzuflachen, ist Lateinamerika derzeit ein Hotspot der Pandemie. Die Fallzahlen in Brasilien schießen ins Unermessliche, auch Chile und Mexiko sind, absolut gezählt, in den Top-10 ; in Kolumbien, Bolivien, Argentinien, Guatemala oder Panama steigen die Neuinfektionen statt zu stagnieren oder gar zu sinken. In Peru ist die Rate gegenüber Mitte Juni immerhin etwas zurückgegangen, sie liegt aber immer noch bei gut 60 Infektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. In Deutschland reicht das für Lockdown und Reisewarnung.
Am Flughafen von Piura im Norden des Landes entladen Soldaten Beatmungsgeräte für Krankenhäuser. Foto: dpaEinen Lockdown gab es auch in Peru. Das Problem, sagt Crisanto, ist die Armut: Viele Menschen sind auf die Arbeit angewiesen. In den großen Agrarfabriken treffen sich Arbeiter aus dem Umland und verteilen das Virus weiter. Sie riskieren lieber eine Ansteckung, als auf Lohn zu verzichten. Und kaum jemand kann Vorräte anlegen, um soziales Abstandhalten zu praktizieren. "Die Leute waren jeden Tag auf der Straße", so Crisanto.
Geschlossen waren die Schulen, auch seine, zwei Tage nach Schuljahresbeginn. Es dauerte bis Mitte Juni, bis eine digitale Lernplattform etabliert war. Den ärmsten Familien wollte Crisanto anfangs einen Zuschuss für Computer oder Tablets zahlen. Sie brauchten das Geld noch dringender gegen den Hunger.
Der digitale Unterricht ist dennoch allmählich angelaufen. "Das wird immer besser", sagt Crisanto mit scheinbar unerschütterlichem Optimismus. Er hofft darauf, dass Ende Juli der Flughafen in Chiclayo wieder öffnen kann. Nach einem halben Jahr will er dann endlich mal wieder zu seiner Familie in Heidelberg.