Im Zentrum des Streits: Der kamerunische Denker Achille Mbembe. Foto: dpa
Von Michael Abschlag
Wenn rund 30 namhafte deutsche Kultureinrichtungen sich zu Wort melden, dann hat das Gewicht. Genau das geschah im Dezember 2020, als die Initiative "GG 5.3 Weltoffenheit" ins Leben gerufen wurde. Ihr Vorwurf ist hart: Die Politik, heißt es, grenze die Meinungsfreiheit ein. Konkret geht es um eine Bundestagsresolution vom Mai 2020, in dem die ursprünglich palästinensische Initiative BDS als antisemitisch eingestuft wurde – verbunden mit der Forderung, ihr keine öffentlichen Räume zur Verfügung zu stellen. Daraus hat sich eine hitzige Debatte entwickelt, in der viele Akteure mitmischen. Es geht um Antisemitismus und die Grenzen von Israelkritik, um die Einordnung des Holocaust, um Rassismus und die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte. Da kommt vieles zusammen.
Entzündet hat sich der Streit an Achille Mbembe. Der Historiker, Philosoph und Politologe aus Kamerun genießt weltweit hohes Ansehen, gilt als einer der wichtigsten Intellektuellen Afrikas. Doch 2020 tauchte der Vorwurf des Antisemitismus auf. Mbembe hatte in seinem Buch "Politik der Feindschaft" (2013) eine vergleichende Analyse zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und dem südafrikanischen Apartheid-System vorgenommen. Sein Resultat: "Das Apartheidregime in Südafrika und – in einer ganz anderen Größenordnung und in einem anderen Kontext – die Vernichtung der europäischen Juden sind zwei emblematische Manifestationen dieses Trennungswahns." In seinem Buch "Apartheid Israel" (2015) wiederum unterstellte Mbembe dem jüdischen Staat ein Apartheid-System "schlimmer als in Südafrika". Mbembe hat damit zwar nicht – wie von manchen behauptet – den Holocaust verharmlost. Doch die Vergleiche zwischen NS-Diktatur, Apartheid und Israel hinterließen bei vielen einen unangenehmen Beigeschmack.
Im Mai 2020 äußerte sich der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zu dem Fall. Mbembe sei durch die "Relativierung des Holocaust aufgefallen", er habe "den Staat Israel mit dem Apartheidsystem Südafrikas gleichgesetzt, was einem bekannten antisemitischen Muster entspricht", und habe "das Existenzrecht Israels infrage gestellt". Zudem verweist Klein auf Verbindungen Mbembes zur BDS-Bewegung. Mbembe bestritt, Kontakte zur ihr zu haben, was sich später als falsch herausstellte: Wie Mails belegen, hatte er 2018 auf Wunsch des BDS die Psychologin Shifra Sagy von einem Vortrag an seiner Universität in Südafrika ausgeladen – weil sie Israeli ist.
Klein forderte nun, Achille Mbembe von der Ruhrtriennale auszuladen, wo der Historiker im August 2020 den Eröffnungsvortrag halten sollte. Corona nahm den Veranstaltern schließlich die heikle Entscheidung ab: Wegen der Pandemie fiel das Literaturfestival ins Wasser.
Die Debatte nahm aber nun erst richtig an Fahrt auf. Mehrere Intellektuelle stellten sich hinter Mbembe, darunter etwa die Autorin Eva Menasse und die Heidelberger Kulturwissenschaftler Jan und Aleida Assmann. Schließlich riefen Kultureinrichtungen wie das Humboldtforum oder das Goethe-Institut die "Weltoffenheit"-Initiative ins Leben: Durch die BDS-Resolution, so ihr Vorwurf, würde eine offene Diskussion über Israel unmöglich. Mbembe selbst war noch weiter gegangen: Er sei als "antisemitischer Neger" diffamiert worden, sagte er.
Auch der israelische Historiker Moshe Zimmermann sieht die Meinungsfreiheit eingeschränkt. "Fest steht, dass Mbembe und andere, zu denen auch ich zähle, massiv von Einschränkungen betroffen sind", sagt er. "Wenn Menschen nicht mehr zu Veranstaltungen eingeladen werden, wenn sie Raumverbot bekommen, weil ihnen ,Israelkritik’ vorgeworfen wird, dann ist eine offene Diskussion nicht mehr möglich."
Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter von Baden-Württemberg, sieht das anders. "Wer nicht zum Boykott aufruft gegen China (...), nicht gegen Myanmar (...), sondern ausschließlich gegen Israel – der handelt meiner Meinung nach antisemitisch", sagt Blume. Auch Achille Mbembes Aussagen stuft er als antisemitisch ein: "Ich plädiere dafür, dass wir die Aussagen von Herrn Mbembe zu Israel genauso ernst nehmen wie seine Aussagen zu Postkolonialismus und Rassismus, und das heißt aber auch: genauso kritisch sehen wie die von anderen auch", so Blume.
Angesichts der hitzigen Debatte ruft der Politikwissenschaftler Claus Leggewie zur Mäßigung auf. Es irritiere, wenn "ein Antisemitismus-Beauftragter sozusagen ein Prüfsiegel abgibt", schreibt Leggewie in einer Stellungnahme. Zugleich habe Mbembe aber "tatsächlich in unklarer Begrifflichkeit und unscharfer Moralisierung eine missliche, ja verheerende Opferkonkurrenz provoziert."
Doch eine Mäßigung ist nicht in Sicht. Der Streit um Antisemitismus und Israelkritik hat gerade erst begonnen.