RNZ-Interview zum Haushalts-Urteil

"Ich freue mich über die Klarheit"

Der Heidelberger Jurist Hanno Kube hat das Urteil erstritten. Eine begrenzte Aussetzung der Schuldenbremse für 2023 sei möglich, sagt er.

21.11.2023 UPDATE: 21.11.2023 20:30 Uhr 2 Minuten, 51 Sekunden
Bundestag
Die erfolgreiche Klage gegen den Nachtragshaushalt 2021 hat nun massive Folgen für die regierende Koalition aus SPD, Grünen und FDP: Auch die kommenden Haushalte könnten auf der Kippe stehen. Foto: dpa
Interview
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Hanno Kube

Professor für Finanz- und Steuerrecht in Heidelberg

Von Daniel Bräuer

Heidelberg. Der Steuerrechtler Prof. Hanno Kube hat die Klage gegen den Nachtragshaushalt 2021 vertreten. Auch bei der Expertenanhörung zu den Folgen am Dienstag war er vertreten.

Herr Kube, wie kam es eigentlich zu der Klage? Hat die Union Sie angesprochen, oder war das Ihre Idee?

Die Union ist auf mich zugekommen. Es bestand der Eindruck, dass das Vorgehen der Regierung verfassungswidrig war.

Waren Sie gleich zuversichtlich, dass das Erfolg haben könnte?

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Ja, wenn man die verfassungsrechtlichen Maßstäbe anlegt, war ich zuversichtlich, dass die Klage erfolgreich sein würde.

Und war Ihnen schon klar, welche massiven Folgen das haben würde?

Es ging zunächst einmal darum, zu klären, dass die Schuldenbremse verbindlich ist und beachtet werden muss. Es war aber nicht zwingend damit zu rechnen, dass das Bundesverfassungsgericht so grundlegend urteilen würde. So hat das Urteil nun Konsequenzen für alle Sondervermögen, insbesondere auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds, und für die Verbuchung der Kreditaufnahmen in den sonstigen Sondervermögen.

Wie weitreichend das Urteil ausgefallen ist, hat Sie selbst überrascht?

Mit Blick auf den laufenden Bundeshaushalt wäre auch denkbar gewesen, dass das Gericht zurückhaltender bleibt und die Maßstäbe eher für die Zukunft verdeutlicht. Aber ich freue mich über die Klarheit des Gerichts.

Ist das Regieren mit Sondervermögen grundsätzlich gescheitert?

Nein, nicht grundsätzlich. Das Gericht hat aber darauf hingewiesen, dass klare Regeln zu beachten sind, wenn Sondervermögen in Wirklichkeit Sonderschulden sind – da hat sich das Gericht sehr restriktiv geäußert und ein mehrjähriges "Ansparen" von Kreditermächtigungen in Sondervermögen für unzulässig erklärt. Solange Sondervermögen aber tatsächliche Vermögensbestände sind, können sie existieren. In Grenzen sind sie in der Verfassung sogar vorgesehen.

Wie auch das Sondervermögen für die Bundeswehr. Ist das der Grund, warum dieses jetzt nicht infrage gestellt wird, obwohl es schuldenfinanziert ist?

Das ist ein Sonderfall, weil es einschließlich seiner Schuldenfinanzierung in der Verfassung vorgesehen ist. Andere Sondervermögen sind nur allgemein in der Verfassung angelegt, und diesbezüglich hat das Gericht Grenzen gezogen.

Und jetzt? Haben Sie einen Rat an die Ampel, was sie jetzt tun sollte?

Wir hatten ja gerade eine Anhörung im Haushaltsausschuss des Bundestages. Es stellt sich die Frage, wie schnell der Bundeshaushalt 2024 beschlossen werden kann. Mein Rat wäre, zunächst einmal Klarheit zu schaffen über die aktuelle Situation und den Haushalt 2023 verfassungskonform abzuschließen.

Gibt es denn Zweifel, dass der für 2023 nicht verfassungskonform ist?

Ja, sehr starke Zweifel. Für das laufende Jahr stellt sich die Frage nach der Deckung der Ausgaben im WSF für die Finanzierung der Energiepreisbremse. Hier ist ein erheblicher Milliardenbetrag aufgelaufen und in Folge des Urteils eine Haushaltslücke entstanden, weil die diesbezüglichen Kreditermächtigungen für unwirksam erklärt wurden. Es muss geklärt werden, wie diese Lücke zu schließen ist.

Eine Möglichkeit wäre, für 2023 noch einmal eine Notlage auszurufen, um die Schuldenbremse nicht einhalten zu müssen. Eine gute Idee?

In der aktuellen Situation muss natürlich ein Ausweg gefunden werden. Wir sind schon relativ weit von der ursprünglichen Notlage der Energiekrise und des Preisschocks entfernt. Aber die Zahlungen aus dem WSF waren Zahlungen, die noch notlagenbedingt gedacht waren. Infolgedessen halte ich es nicht für ausgeschlossen, rückwirkend die Notlage für 2023 zu erklären und Kredite zuzulassen – aber nur in dem Umfang, der erforderlich ist, um die Ausgaben aus dem WSF zu decken. Keinesfalls weitergehend.

Zum Verständnis: Was sind das genau für Ausgaben?

Es geht insbesondere um die Energiepreisbremse. Dafür ist ein Betrag von über 30 Milliarden Euro abgeflossen. Weil die Kreditfinanzierung nach aktuellem Stand verfassungswidrig war, muss eine neue Deckung gefunden werden.

Weil die Schulden 2023 gar nicht hätten aufgenommen werden dürfen?

Genau, weil nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Kreditermächtigung Ende 2022 weggefallen ist, wegen des Jährlichkeitsprinzips. Für 2023 war nach Lage der Dinge keine Ermächtigung vorhanden.

Mit dem Geld hat der Staat den Energieversorgern die Differenz zwischen Marktpreis und gebremstem Preis erstattet, wie er nachher auf unseren Rechnungen stand.

Exakt.

Das haben also nicht Sie und ich aufs Konto bekommen, sondern zum Beispiel die Stadtwerke.

Sie haben es indirekt bekommen, weil die Stadtwerke es weitergegeben haben.

Wenn das nicht verfassungskonform war – droht dann eine Rückzahlung?

Nein. Alle zivilrechtlichen Verträge und auch Förderungen durch den Staat im Außenverhältnis sind vom Haushaltsverfassungsrecht zu unterscheiden. Die Verbindlichkeit von Verträgen ist nicht dadurch gefährdet, dass im Binnenverhältnis des Staates die Finanzierung verfassungswidrig war.

Es hat nur Herr Lindner nun den Spaß, das Geld anderswo aufzutreiben.

Das ist richtig, ja.

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