"Die Ausbrüche in den Heimen finde ich wirklich besorgniserregend"
Wieso die Mutation des Coronavirus so gefährlich ist und was wir falsch machen: Chefvirologe Hans-Georg Kräusslich im RNZ-Podcast.

Von Klaus Welzel
Heidelberg. Nackte Zahlen können täuschen: Uni-Chefvirologe Hans-Georg Kräusslich warnt in der 35. Folge des RNZ-Corona-Podcast ausdrücklich vor einem zu lockeren Freizeitverhalten. Sein mahnendes Beispiel ist Irland.
Prof. Kräusslich, die Impfkampagne in Baden-Württemberg läuft äußerst schleppend an. Wenn das so schleppend weitergeht, benötigen wir am Ende eine Impfpflicht?
Das liegt nicht an der Bereitschaft, sich impfen zu lassen. Wir können ja jeden Tag lesen, dass nicht alle geimpft werden können, die geimpft werden wollen – das ist auch am Klinikum so. Ich kann Ihnen nicht wirklich sagen, weshalb wir in Baden-Württemberg weniger Impfungen haben als in anderen Bundesländern. Die Menge an Impfstoff pro Bundesland berechnet sich an der Zahl der Einwohner, die Länder bekommen also relativ gesehen gleiche Mengen. Es wäre schon wünschenswert, dass Baden-Württemberg nicht auf den hinteren Plätzen landet.
Relativ gesehen, sind in Baden-Württemberg 0,6 Prozent der Bevölkerung geimpft, in anderen Bundesländern bis zu zwei, drei Prozent?
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Man kann vielleicht die Stadtstaaten nicht mit einem Flächenland wie Baden-Württemberg vergleichen. Aber Bayern lag bei 1,1 Prozent, als Baden-Württemberg bei 0,65 Prozent lag – und Bayern ist durchaus mit Baden-Württemberg vergleichbar. Offensichtlich gelingt es noch nicht ausreichend, den Impfstoff zeitnah zu verimpfen, natürlich kann es auch Verzögerungen bei den Meldungen geben. Es liegt aber nicht daran, dass im Impfzentrum vor Ort nicht ausreichend geimpft würde oder Impfdosen verfallen – das ist ausdrücklich nicht der Fall.
Wieso werden Menschen, die die Krankheit überstanden haben, nicht geimpft?
Im Moment haben wir zu wenig Impfstoff und die Immunität nach überstandener Infektion ist mindestens so gut wie nach einer Impfung. Es gibt zwar selten erneute Infektionen bei Personen nach vorheriger Covid-Erkrankung, aber auch die Impfung schützt ja nicht zu 100 Prozent.
Derweil wird diskutiert, ob in diesem Sommer das Reisen durch einen Impfpass erleichtert werden könnte. Das führt zu der Frage: Wie lange schützt eigentlich die Impfung?
Das können wir noch nicht sagen. Die Impfungen in Deutschland haben am 27. Dezember begonnen, in anderen Ländern vielleicht einen Monat vorher. Wir haben also einen Beobachtungszeitraum von ein bis zwei Monaten. Untersuchungen zur Antikörpermenge längere Zeit nach Impfung gibt es nur für die wenigen Personen aus den klinischen Studien der Hersteller. Dort gibt es Daten bis zu sechs bis acht Monate nach Impfung, und die Antikörper bleiben in der Regel nachweisbar. Das gilt ganz ähnlich auch für Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben. Für einen längeren Zeitraum haben wir einfach noch keine Ergebnisse. Richtig beurteilen können wir es erst, wenn bei den Millionen Menschen, die jetzt geimpft werden, nach unterschiedlicher Zeit die Antikörper untersucht werden.
Heute wird der erste Todesfall nach einer Impfung gemeldet. Können Sie dazu etwas sagen?
Zum aktuellen Fall nicht; es gibt aber weltweit bisher keine Hinweise auf schwere Nebenwirkungen – außer den bereits bekannten allergischen Reaktionen. Wenn wir aber weltweit sehr viele Menschen, insbesondere in der Gruppe der über 80-Jährigen, impfen, dann wird es im zeitlichen Zusammenhang Todesfälle geben, mit oder ohne Impfung.
Italienische Ärzte meldeten diese Woche, der Patient Null sei eine junge Frau gewesen – und das schon im November 2019 – halten Sie das glaubwürdig?
Untersucht wurde die Hautprobe einer jungen Frau, in der anscheinend RNA des Virus nachgewiesen wurde. Genaues weiß ich noch nicht. Es gab Meldungen, wonach bereits im November 2019 bei einzelnen Patienten aus Italien Antikörper gegen das Virus im Blut gefunden wurden. Wenn aber in Italien bereits im Herbst 2019 ein Virus dieser Infektiosität vorgelegen hätte, dann hätte man viel früher eine starke Ausbreitung sehen müssen. Es kann ja nicht sein, dass wir im Januar, Februar eine explosionsartige Ausbreitung des Virus in Italien hatten und es sich von November bis Januar ruhig verhalten hätte. Bisher spricht immer noch alles für einen Ursprung in China und das wird ja gerade von der WHO Gruppe untersucht. Und wenn man wirklich finden würde, dass es einen anderen Ursprung gibt, könnte zwar Donald Trump statt vom China-Virus vom Italy-Virus reden, aber für den weiteren Verlauf der Pandemie spielte es keine Rolle.
Sie selbst haben im letzten Corona-Podcast gesagt, der Januar reiche jedenfalls nicht für einen Lockdown. Vor April/Mai sei keinerlei Entspannung in Sicht. Jetzt fordert das RKI härtere Lockdown-Maßnahmen. Wie könnten diese aussehen?
Es wird schwierig, zusätzliche oder andere Maßnahmen umzusetzen. Ich habe den Eindruck, dass die Maßnahmen von sehr vielen Menschen weitgehend eingehalten werden, aber insbesondere private Kontakte immer noch in erheblichem Maße stattfinden. Das Thema Homeoffice steht sicherlich weiter in der Diskussion. Aber es betrifft alle Bereiche: Wenn man die Situation in den Skigebieten in der letzten Zeit betrachtet und wenn man sieht, dass die Flüge nach und von Südafrika in den Ferien weitgehend ausgebucht waren, trotz hoher Fallzahlen dort und obwohl die neue Virus-Variante bereits zirkulierte, dann macht man sich Sorgen. Leider wird alles, was nicht verboten ist, auch getan – und das ist nicht günstig für den Verlauf der Pandemie.
Welche Rolle spielen diese Mutationen, über die wir ja bereits letzte Woche sprachen?
Einige neue Varianten können sich leichter verbreiten als das bisherige Virus. Wir haben diese Mutationen bereits im Land, aber noch sehr selten; es geht also darum, ihre Ausbreitung einzudämmen. Irland ist dafür ein abschreckendes Beispiel: Dort wurde im November durch sehr umfangreiche Maßnahmen eine Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 erreicht. Dann wurde alles gelockert und über die Feiertage gab es sehr viele Reisen nach und aus England. Jetzt hat Irland eine Sieben-Tage-Inzidenz von 1400, ungefähr zehnmal so hoch wie in Deutschland – und die Hälfte aller Infektionen durch die neue Variante. Dort hat also die Kombination starker Reisetätigkeit, weitgehenden Lockerungen und der neuen Variante binnen kurzer Zeit zu einer massiven Ausbreitung und zu einer Bedrohung des Gesundheitswesens geführt – ein warnendes Beispiel.
Wo stehen wir bezüglich der Pandemie in der Region? Bei den statistischen Werten steht die Region ja ganz gut da – oder täuscht der Blick auf die nackten Zahlen?
Die Situation ist etwas besser als vor vier oder sechs Wochen. Was uns aber sehr besorgt, ist die Situation in den Heimen. Wir hatten zuletzt wiederholt heftige Ausbrüche an verschiedenen Orten, etwa in Angelbachtal. Es gelingt leider immer noch nicht, diese heftigen Ausbrüche zu verhindern, obwohl sie schon länger als Problem bekannt sind. Eine gewisse Anzahl der infizierten Bewohner kommt dann einige Zeit später stationär in die Kliniken und einige dieser Menschen sterben. Die Situation in den Heimen müssen wir besser in den Griff bekommen, das bleibt ein großes Problem.
Was wird falsch gemacht? Das Virus wird ja offensichtlich in die Heime von außen eingetragen.
Ja, das Virus wird eingetragen. Aber die Situation ist nicht anders als in den Kliniken, wo wir weit weniger und kleinere Ausbrüche haben. Auch dort kommen Patienten und Personal jeden Tag von außen und trotzdem ist es dort nicht so. Was ist der Unterschied in den Heimen? Das finde ich wirklich besorgniserregend.
Info: Alle weiteren Podcast-Folgen gibt es unter www.rnz.de/Corona-Podcast.