Nachruf

Klaus von Beyme war ein faszinierender Lehrer und Gelehrter

Klaus von Beyme, einer der renommiertesten Politikwissenschaftler, ist tot.

06.12.2021 UPDATE: 07.12.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 33 Sekunden
Klaus von Beyme in seinem heimischen Heidelberger Garten im Sommer 2014. In der Nacht auf Montag ist er im Kreis seiner Familie eingeschlafen. Foto: Joe

Von Wolfgang Merkel

Heidelberg. Als ich 1975 mein Studium an der Universität Heidelberg aufnahm, wusste ich nichts von Klaus von Beyme und seinem beginnenden Ruhm. Es war der Zufall, der mich in den legendären Hörsaal 13 führte. Er war überfüllt, der summende Ton verhaltener Gespräche ließ Erwartung, wenn nicht gar Spannung spüren. Dann kam er, ein eher kleiner Mann mit einer großen Aura, die sich mit seinen ersten Sätzen sogleich im Hörsaal ausbreitete. Die Studenten waren fasziniert, keiner konnte sich entziehen. Und wie er vortrug: Frei, elegant, durchformuliert, bisweilen mit subtiler Ironie, von der er, wie ich später häufig feststellen konnte, sich selbst nie ausnahm.

Es war eines seiner Markenzeichen, dass sich "sein" Hörsaal auch im Verlauf des Semesters nicht leerte. Professor Klaus von Beyme war nicht nur ein begeisternder Redner, sondern auch ein empathischer Prüfer, der mehr als tausend Studenten examinierte, 100 Doktoranden promovierte und 16 Politikwissenschaftler habilitierte. Er war der Lehrer, der Professor, der das Heidelberger Institut für Politikwissenschaft mehr als jeder andere prägte, seinen bedeutenden Lehrer Carl J. Friedrich, der in Harvard und Heidelberg dozierte, eingeschlossen.

Wer so viel lehrt und prüft, der, so sollte man meinen, hat keine Zeit mehr zu schreiben. Sollte man. Das Gegenteil war der Fall. Klaus von Beyme hat im Umfang und der gelehrten Breite wohl noch jeden anderen Politikwissenschaftler in Deutschland mit seinem Oeuvre übertroffen.

Fast 50 Monografien und rund 500 Aufsätze hat er veröffentlicht, natürlich nicht nur in Deutsch, sondern in mehr als zwanzig Sprachen. Rund ein Dutzend von ihnen waren ihm selbst geläufig, Russisch und Schwedisch inbegriffen.

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Überhaupt Russland, das lag ihm am Herzen. Über die politische Soziologie im zaristischen Russland (1965) hat er promoviert und später ein dickes Buch über die "Ökonomie und Politik im Sozialismus" (1975) vorgelegt. Er, stets ein Kritiker der Sowjetunion, hat diese Kritik nie eifernd im Stil des Kalten Krieges gefasst. Das war seine Sache nicht. Klaus von Beyme schrieb nüchtern, analytisch, selten parteinehmend, und verbarg dennoch seine eigene normative Position nicht. Auch in der jüngeren Putin-Kontroverse fand man ihn weder im Lager der eifernden Kritiker noch in jenem der Putin-Versteher. Tertium datur: Die Weltsichten ließen sich für ihn nicht einfach in zwei Lager aufteilen.

Klaus von Beyme hat Bücher zu den politischen Systemen der USA, Italiens und Deutschlands geschrieben; zu Parteien, Gewerkschaften, Verbänden, zur Migrations-, Wohnungs- und Kulturpolitik, zu Neopopulismus, Konservatismus, Sozialismus, Liberalismus, Rassismus, Sexismus und Feminismus publiziert; auch zu den "Parlamentarische(n) Regierungssysteme(n)", Föderalismus und Postdemokratie hat er geschrieben.

Legendär sind seine Lehrbücher zum "Politischen System der Bundesrepublik Deutschland" und den "Politischen Theorien der Gegenwart". Sie sind in zehn und mehr Auflagen erschienen, haben Generationen von Studierenden geprägt. Weit über Heidelberg, ja Deutschland hinaus. Die weltweite Reputation brachte Klaus von Beyme zwischen 1982 und 1985 die Präsidentschaft des Weltverbandes der Politikwissenschaft ein.

Eine außerordentliche Stärke des Heidelberger Politikprofessors war der Vergleich. In Zeiten, in denen sich die Profession auf überbordende Datenbanken stürzt, sich Rechensoftware handlich im Notebook bedienen und die reale Welt sich in abstrakten Zahlen vermeintlich präzise kodieren lässt – kaum etwas wissend von den Sachverhalten, Ländern und Regionen - ragte Klaus von Beyme mit substanziell-enzyklopädischem Wissen und theoretischer Versiertheit heraus. Zahlen waren ihm nie der Kern seiner Wissenschaft, sondern stets nur komplementäres Hilfsmittel zur weiteren Aufschlüsselung der politischen und sozialen Welt.

Klaus von Beyme ist in Schlesien und nicht in der Kurpfalz geboren. Dennoch ist er ein Heidelberger geworden und ganz und gar geblieben. In Deutschland und der westlichen Welt hätte er an fast allen Universitäten einen Lehrstuhl bekommen können. Konkrete Rufe nach Frankfurt und Berlin lehnte er ab. Er wusste warum. Er war längst zum unverzichtbaren Gelehrten-Inventar der ehrwürdigen Universitätsstadt Heidelberg geworden.

Klaus von Beyme war nicht hoffärtig, kein arroganter Ordinarius, nie polemisch. Das Gegenteil war er: liebenswürdig im Kreis seiner Kollegen und Freunde, aufgeschlossen für "seine" Studenten. Er hat uns und seiner Wissenschaft Immenses gegeben. Jetzt trauern wir um ihn.

*

Der Autor Wolfgang Merkel ist emeritierter Direktor am Wissenschaftszentrum Berlin.


> Klaus von Beyme: Geboren als eines von fünf Geschwistern am 3. Juli 1934 in Saarau. Die Eltern waren Gutsbesitzer in Schlesien, später Hoteliers.

> Studium: Nach dem Abitur 1954 in Celle zunächst Ausbildung zum Verlagsbuchhändler. Ab 1956 Studium der Rechtswissenschaft, Soziologie und Geschichtswissenschaft in Heidelberg, nach vier Semestern tauschte er die Rechtswissenschaft gegen Politikwissenschaft. Weitere Studienorte: Bonn, München, Paris und Moskau.

> Lehrtätigkeit: Nach der Habilitation in Heidelberg wurde von Beyme ordentlicher Professor an der Eberhard Karls Universität Tübingen (1967–1973), 1971 auch kurzzeitig Rektor. Im Jahre 1972 erhielt er einen Ruf an die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Von 1974 bis 1999 ordentlicher Professor an der Universität Heidelberg, hier Leitung des Instituts für Politische Wissenschaft. Während dieser Zeit zahlreiche Engagements und Lehrtätigkeiten in Florenz, Paris, Stanford und Melbourne.

> Auszeichnungen: Von Beyme erhielt eine Vielzahl von Auszeichnungen; darunter die Ehrenmitgliedschaft der Humboldt-Universität Berlin, die Universitätsmedaille der Uni Heidelberg. Eine Umfrage ermittelte ihn 1998 als einen der zehn weltweit wichtigsten Politologen – als einziger Deutscher.

> Politisches Wirken: Aus seiner SPD-Mitgliedschaft (seit seinem 24. Lebensjahr) machte von Beyme nie einen Hehl. In seiner Heimatstadt Heidelberg engagierte er sich zudem vielseitig; nahm zu wichtigen kommunalpolitischen "heißen Eisen" wie dem Stadthallenausbau engagiert Stellung. 2014 kandidierte er sogar für den Heidelberger Gemeinderat – um für seine Partei möglichst viele Stimmen zu holen, was auch klappte: von Beyme landete auf Platz 11. Prägend waren für den Politologen die Studentenunruhen, wobei er sich nicht nur als "Scheißliberaler" beschimpfen ließ, sondern dies noch Jahrzehnte später genüsslich erzählte. Ebenso die Pointe, dass ein Spartakist ihn in Schutz nahm, "kein Klassenfeind" zu sein.

> Privates: Von Beyme war verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

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