Warum eine Rückkehr zur Kernkraft kaum sinnvoll wäre
Aktuell wird über eine Rückkehr zur Kernkraft diskutiert.

Von Michael Abschlag
Heidelberg. Manchmal kommen Debatten zurück, die längst verschwunden schienen. So geschieht es derzeit mit der Atomkraft: Kann sie als Übergangstechnologie dienen, bis Deutschland sich mit Erneuerbaren Energien selbst versorgen kann? Klimafreundlicher als Gas, Öl und Kohle ist sie ja – und der Ukraine-Krieg macht es nötig, über ein Öl- und Gasembargo aus Russland zumindest nachzudenken. Könnte Atomkraft die Lücke füllen?
Klimaschutz- und Umweltministerium haben das geprüft – und kommen in einem gemeinsamen Bericht von Anfang März zu einem klaren Ergebnis: "Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken" sei eine Laufzeitverlängerung "auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen". Unabhängige Experten sehen das ähnlich. Denn selbst wenn man alle Sicherheitsbedenken und die Endlager-Problematik außer Acht lässt: Rein praktisch gesehen wäre ein solcher Schritt kaum möglich.
Derzeit sind noch drei deutsche Meiler in Betrieb: Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 – sie sollen eigentlich Ende 2022 abgeschaltet werden. Doch selbst wenn man von diesen Plänen Abstand nehmen sollte, könnten die Kraftwerke nicht einfach so weiterlaufen. In Deutschland gibt es aus guten Gründen strenge Kontrollen für Atomkraftwerke. Die wichtigste und aufwendigste davon ist die "periodische Sicherheitsüberprüfung", die alle zehn Jahre ansteht. Eigentlich hätte sie in den verbliebenen AKW bereits vor drei Jahren stattfinden müssen, doch wegen der absehbaren Abschaltung hatte man auf sie verzichtet. Sollten die Meiler aber nun doch weiterlaufen, müsste die Prüfung erst einmal nachgeholt werden.
"Die Prüfung wurde speziell im Gesetz ausgesetzt, mit der Maßgabe, dass die Anlagen zum 31. Dezember 2022 vom Netz gehen", erklärt Roman Mendelevitch vom Ökoinstitut in Darmstadt. Die Sicherheitsprüfung nachzuholen würde bedeuten, "dass alle sicherheitstechnischen Elemente und Teile geprüft werden. Und wenn dabei Mängel festgestellt werden, müssen sie behoben werden, ehe die Anlage weiterbetrieben werden kann."
Hinzu kommt: Selbst wenn die Atomkraftwerke ohne Beanstandung durch die Prüfung kommen, dürften die Betreiber Schwierigkeiten bekommen, so schnell das nötige Personal bereitzustellen. Schließlich haben sie sich ja fest auf die Abschaltung eingestellt, Arbeitsverträge aufgelöst. "Das Personal muss bestimmte Prüfungen und Kenntnisse vorweisen, um die Reaktoren betreiben zu können", so Mendelevitch. "Da geht es um einige Dutzend Personen, die die Spezifika des jeweiligen Reaktors kennen müssen. Die kann man nicht auf die Schnelle einstellen, da braucht man geschultes Personal." Das sei nicht einfach zu bekommen, auch "weil die Ausbildungen zum Teil nicht mehr angeboten werden".
Und ein drittes Problem kommt hinzu: In den Atomkraftwerken gibt es gar nicht genug Brennstäbe. "Die Brennelemente sind genau auf das Enddatum ausgelegt", sagt Mendelevitch. "Sie sind teuer, deshalb haben die Betreiber bei der letzten Beladung der Kraftwerke genau ausgerechnet, wie viel Brennstoff sie brauchen." Brennelemente müssten also nachbestellt werden, doch das kann dauern: Immerhin werden sie speziell angefertigt, genau angepasst an den jeweiligen Reaktor. Experten gehen von Lieferzeiten von anderthalb Jahren oder mehr aus.
Hinzu kommt: Das meiste Uran für die Brennstäbe kommt bisher aus Russland und Kasachstan – will man Russland boykottieren, müsste man also zumindest diesen Exporteur ersetzen. "Es gibt auch Uran aus Kanada und Australien, aber diese Länder haben auf dem Weltmarkt einen deutlich geringeren Anteil", so Mendelevitch.
Zudem dürfte sich eine Rückkehr zur Atomkraft auch wirtschaftlich nicht lohnen: Die Kraftwerksbetreiber, die sich ja auf eine Abschaltung eingestellt haben, sind laut Prüfbericht entschlossen, die finanziellen Risiken dem Bund – sprich: dem Steuerzahler – zu übertragen. Auf der anderen Seite dürfte der Strompreis zumindest kurzfristig nicht fallen. "Die Betreiber haben ihren Strom meistens schon verkauft", so Mendelevitch – man müsste ihn also anderswo auf Vorrat einkaufen. "Wenn man heute Strom kauft und ihn im ersten Quartal 2023 verkaufen will, dann liegt die Differenz bei 40 bis 50 Euro", rechnet Mendelevitch die Kosten pro Stromstunde für den Bund aus. Zehn Terawattstunden könnten die drei verbliebenen Atomkraftwerke in 100 Tagen produzieren: "Das wären dann 400 bis 500 Millionen Euro".