Heidelberg. Jahrelange Gewalt, Brandschatzung, Elend über Elend. Am Ende sind rund sechs Millionen Menschen gestorben - die meisten von ihnen jedoch nicht durch Kampfhandlungen, sondern durch Hungersnöte und Seuchen. Kein leichter Stoff, mit dem sich Herfried Münkler da auseinandersetzte. Doch im Gespräch mit Klaus Welzel gibt sich der Berliner äußerst entspannt. Es geht um die Kurpfalz und den Dreißigjährigen Krieg und die Frage: War das alles wirklich nötig?
Professor Münkler, wie sähe Europa ohne den Dreißgjährigen Krieg aus?
Bei Ereignissen, die 400 Jahre zurückliegen, lässt sich vermutlich keine klare Linie ziehen. Man kann sich aber vorstellen, dass dann Europa nicht diese Aufsplitterung in viele, souveräne Staaten durchgemacht hätte, sondern eher ein in sich geschlossener Raum wie Nordamerika oder China geworden wäre - mit vielleicht einem Habsburger pro forma an der Spitze und einer parlamentarischen Kontrolle darunter.
Und Auswirkungen auf die Religion?
Dann wäre vermutlich der Protestantismus an die nordeuropäische Peripherie zurückgedrängt worden. Europa wäre dann im Großen und Ganzen katholisch.
Viele meinen, dieser Krieg sei überfällig gewesen. War da der Prager Fenstersturz nur ein willkommener Anlass, um endlich in die Schlacht zu ziehen?
Ich würde nie sagen, dass dieser Krieg zwangsläufig gewesen sei oder unvermeidlich. Man kann sich schon vorstellen, dass der Augsburger Religionsfriede gehalten hätte. Aber das Problem, wie man den Prager Fenstersturz beurteilt, hat sich schon früh gestellt: Wie kann das Herauswerfen dreier Personen aus der Prager Burg - wobei dabei keiner der drei zu Tode gekommen ist - einen so furchtbaren Krieg auslösen?
Wie beantworten Sie diese Frage?
Es gab eine gewisse Konstellation zwischen den Religionen, die Bündnisse geschaffen haben, die dann auf Deutschland übergriffen. Wichtig erscheint mir aber auch der Niedergang Spaniens. Denn die Spanier haben sich unterstützend ihren Wiener Vettern angeboten und sie mit Geld versorgt, ohne das dieser Krieg überhaupt nicht zu führen gewesen wäre. Ferdinand hätte Böhmen nicht bekriegen können, er hatte keine Truppen. Und zuletzt: Wenn die Türken ihre besten Truppen nicht Richtung Bagdad entsandt hätten, sondern sich im Balkan engagiert hätten, dann hätte sich Ferdinand überhaupt nicht auf den Konflikt mit Böhmen konzentrieren können.
Also alles ungünstige Konstellationen, die zu einem Krieg führten, der sich überwiegend auf deutschem Boden abspielte. Aber war er überhaupt ein deutscher Krieg?
Wenn man nur auf die Geografie schaut, dann war das ein deutscher Krieg. Ich würde aber sagen, es war ein europäischer Krieg, der sich auf deutschem Boden abgespielt hat. Weil erstens das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen geopolitisch in der Mitte lag. Und zweitens, weil die politische Konstellation das Reich zum idealen Austragungsort gemacht hat und weil drittens in Europa die Hegemoniefrage am ehesten in Deutschland entscheidbar war.
Heidelberg und die Kurpfalz waren als Heimat von Friedrich V. besonders stark betroffen. Kann man sagen, dass die Kurpfalz im Anschluss politisch in der Bedeutungslosigkeit versank?
Das wäre vielleicht zu viel gesagt, denn die Kurpfalz erhielt ja dann den achten Kurhut, um in irgendeiner Weise die Pfalz nicht untergehen zu lassen. Es ist nicht mehr der erste Kurhut, den Friedrich V. aufhatte, sondern der achte - aber immerhin. Dennoch gehört die Kurpfalz natürlich zu den Verlierern des Krieges. Nicht nur wegen des Verlustes der Biblioteca Palatina, sondern vor allem auch wegen der Zerstörungen in der ersten Phase dieses Krieges und wegen des Verlustes an Reputation und Territorium.
Sehen Sie in Friedrich V. eine tragische Figur oder war er nur ungeeignet, die Kurpfalz oder gar Böhmen zu regieren?
Beides schließt einander ja nicht aus. Er war sicherlich von den Aufgaben, die er sich vorgenommen hat, überfordert. Und er hat dabei auf naive Weise auf eine sehr viel stärkere Unterstützung durch seinen Schwiegervater in England …
… König Jakob I. …
… auf dessen Hilfe hatte er vergebens gehofft. Und er hat sich auf ein gewagtes Experiment eingelassen, indem er die böhmische Krone annahm. Dabei ist er zum einen seinen Ratgebern, bestehend aus calvinistischen Intellektuellen, gefolgt, die ihm rieten, die Krone anzunehmen, um eine jesuitische Verschwörung zu unterlaufen und so den Protestantismus in Deutschland generell zu stärken.
Wobei die protestantische Liga ihn ja ebenfalls im Stich ließ?
Das ist die eine Seite. Er war aber auch mit dieser hochattraktiven Elisabeth von England verheiratet, eigentlich eine Frau über seinen Verhältnissen. Und dafür war Heidelberg - trotz seiner durchaus vorhandenen romantischen Attraktivität - ein bisschen klein. Die Vorstellung, dann in der alten Kaiserstadt Prag ein angemessenes Leben zu führen, das dürfte bei seiner Entscheidung, sich auf das böhmische Abenteuer einzulassen, eine Rolle gespielt haben.
Als Heidelberg 1622 zerstört war, hätte der Krieg ja eigentlich vorbei sein können - warum begann der dann aber erst richtig?
Das hat damit zu tun, dass die Pfälzer Herrschaftsfamilie diese Form des Untergangs nicht akzeptierte und auch nicht bereit war, auf den Kurhut, der ja dann nach Bayern ging, zu verzichten. Andererseits spielten machtpolitische Erwägungen eine Rolle, so waren die Machtverhältnisse zugunsten der Katholiken verschoben worden, in Holland ging der Krieg weiter, was ja wiederum die Spanier forderten. Von Madrid aus kam immer wieder die Forderung, den Krieg nach Nordwestdeutschland entlang des Rheins weiterzutragen. Deshalb folgte dem böhmisch-pfälzischen dann der niedersächsisch-dänische Krieg.
Hatte denn die Bevölkerung eine Chance, das Gemetzel und die Plünderungen zu stoppen?
Die hatten schon bald genug vom Krieg. Aber ihre Versuche, sich dagegen zu wehren - vor allem in der Schlussphase des Krieges - scheiterten. Da der Krieg von marodierenden Soldaten geführt wurde, hatten diese bei Widerstand einen Grund, noch grausamer gegenüber der Bevölkerung aufzutreten.
Welche Rolle spielten denn die Zeitungen in diesem Krieg?
Natürlich kam das den Zeitungen zugute, die Nachrichten - teils in eher komprimierter Form - verbreiteten. Zeitungen sind ein Instrument, die Neugier zu befriedigen, denn sie konnten Gerüchte korrigieren und das Geschehen einordnen - das war ein richtiger Push für Zeitungen in der damaligen Zeit.
Welches ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Lehre, die wir aus dem Dreißigjährigen Krieg ziehen sollten?
Ganz vorne steht da die Notwendigkeit politische Prozesse zu entkonfessionalisieren - das träfe auf heute übertragen auch auf den Syrienkrieg zu. Dann die Verständigung über Einflusszonen, die den jeweiligen Mächten zugebilligt werden, so dass diese sich nicht permanent aneinander reiben. Und dann die Fähigkeit zur Abdankung von Leuten, die nichts anderes tun und können, als Krieg zu führen. Da kann man sich fragen: Wie pazifiziert man diejenigen, die immer wieder in den Krieg ziehen wollen? Ganz einfach, man macht sie zu Beamten. Damals hat man aus Söldnerheeren stehende Heere, also Berufssoldaten, gemacht.
Auf Syrien angewandt wäre es aber schwierig den IS mit Wallensteins Söldner gleichzusetzen?
Nein, auf keinen Fall. Allenfalls, dass es sich jeweils um hochmotivierte Männer handelte, die ihre Frauen und Familien mit in den Krieg nahmen.
Haben Sie beim Schreiben ihres 900-Seiten-Werks eigentlich auch einmal gedacht: Ich kann dieses ewige Gemetzel schon selbst nicht mehr lesen?
Natürlich ist das Ausarbeiten eines Buches über einen 30 Jahre währenden Krieg eine Tortur. Aber im Vergleich zum Ersten Weltkrieg waren es im Gemetzel dann doch nicht so viele Tote. Die Toten dieses Krieges waren vor allem die Folge von Hunger und Seuchen. Aber ab und zu hing es mir schon zum Halse raus. Dann bin ich in München zur Feldherrenhalle gegangen, habe mir den Tilly angeschaut und mir überlegt: Bist du jetzt der "geharnischte Mönch" oder bist du ein Kriegsverbrecher?