Tagesthema Pogromnacht 1938

Viele Hirschberger Juden waren längst emigriert

In Leutershausen und Großsachsen gab es keine Juden mehr - 27 wurden ermordet - Blick in die Geschichte

08.11.2018 UPDATE: 09.11.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 29 Sekunden
​Letzter Bewohner der „Judenschule“ war Lehrer und Kantor Meier Heller mit seiner Frau. Repro: Brand

Von Walter Brand

Hirschberg. Weil die Synagoge 1938 im Besitz der politischen Gemeinde von Leutershausen war und sich wohl der "Lamm"-Wirt vor einen SS-Trupp stellte, wurde sie in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November vor den Flammen bewahrt. Heute ist sie wieder im Besitz der Gemeinde Hirschberg und wird als Kultur- und Begegnungsstätte genutzt. Sowohl hier, an der Alten Synagoge, als auch in Großsachsen - hier mit Stolpersteinen - wird an das frühere jüdische Leben in den Orten erinnert.

Aktiv setzen sich dafür der Arbeitskreis Ehemalige Synagoge oder auch Stolperstein-Initiatorin Jeannet-Susann Kiessling ein. Ebenfalls die Erinnerung wach hält Professor Erhard Schnurr, der das Buch "Die Juden aus Großsachsen und Leutershausen in der nationalsozialistischen Verfolgung" verfasst hat. Aus Anlass des 80. Jahrestags der Reichspogromnacht blickt die RNZ auf die jüdische Geschichte in Hirschberg zurück.

Leutershausen: Die Entstehung der jüdischen Gemeinde geht in die Zeit des 16. Jahrhunderts zurück. Die ersten Juden konnten sich in Leutershausen um das Jahr 1553 durch die Zustimmung von Kurfürst Friedrich II. gegen Zahlung eines Schirmgeldes für kurze Zeit ansiedeln. Nach dem Tod des Kurfürsten gab es durch dessen Nachfolger Friedrich III. eine Ächtung der Juden in der Kurpfalz bis 1648, die Kurfürst Karl Ludwig auflockerte.

Im Gebäude der Hauptstraße 1 wurde 1722 der erste Betsaal eingerichtet. Die damalige "Judenschule" wurde 1781 von dem Landrabbiner Hirsch im Auftrag der jüdischen Hauserben an die jüdischen Gemeindemitglieder verkauft. Der Besitzer des Hauses in der Vordergasse 2 soll um 1860 sein Haus aufgestockt haben, wodurch die Synagoge kein Morgenlicht mehr erhielt. Als daraufhin ein Prozess für die jüdische Gemeinde nachteilig ausging, beschloss man, eine neue Synagoge zu erbauen. 1858 gab es eine eigene israelitische Schule in der Mittelgasse.

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Die jüdische Gemeinde erwarb 1862 zwei Grundstücke am "Schriesheimer Tor" - heute Hauptstraße -, um dort eine neue Synagoge bauen zu können. Am 4. September 1868 erfolgte die Einweihung der Synagoge mit Festzug im Ort und Festball im gegenüberliegenden Gasthaus "Zum Lamm" , das 1864 Abraham Schriesheimer erbaute.

Als die Nazis 1933 an die Macht kamen, hatte die jüdische Gemeinde ihre Blütezeit hinter sich. Von besonderen Ausschreitungen blieb die Gemeinde trotz einer eigenen Synagoge verschont. 1933 lebten noch 43 jüdische Bürger hier. 1938 waren keine Juden mehr im Ort, da viele ins Ausland emigriert oder in andere Städte gezogen waren. Im November 1938 gab es nach einer Aufstellung des Bürgermeisteramtes nur noch zwei kleine "Gewerbebetriebe" mit jüdischen Inhabern in der Hauptstraße 35. Am 22. Oktober 1940, zum Zeitpunkt der Deportation der badisch-pfälzischen Juden wohnten keine mehr im Ort. In den Vernichtungslagern der Nazis wurden aber 21 ehemalige jüdische Bürger aus Leutershausen ermordet.

Die Synagoge wurde am 4. April 1938 von der politischen Gemeinde Leutershausen erworben. Somit befand sich das Gebäude nicht mehr im Eigentum der jüdischen Gemeinde. Ein SS-Trupp aus Ladenburg wollte die Synagoge am 9. November in Brand setzen. Überliefert ist, dass der damalige Wirt vom Gasthaus "Zum Lamm" sich gegen das Vorhaben der Nazis stellte. Er wies vor allem auf die neuen Eigentumsverhältnisse hin. Zudem befürchteten Anwohnern, dass zwei Scheunen dann ebenfalls in Flammen aufgehen könnten. Das Gebäude blieb daher unversehrt.

Von 1942 bis 1945 diente es als Lazarett und Gefangenenlager. Nach 1945 waren die Organisation "Jewish Restitution Successor" New York und das Land Baden-Württemberg Eigentümer der Synagoge. Von 1955 bis 1985 befand sich das Gebäude in Privatbesitz und wurde gewerblich genutzt. Die Gemeinde erwarb das Gebäude 1985 erneut. Im Jahr 2001 konnte die ehemalige Leutershausener Synagoge als neue Kultur- und Begegnungsstätte nach sorgfältigen Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten eingeweiht werden.

Großsachsen: Bereits 1440 ist der Flurname "Judenpfad" belegt. Die Entstehung der jüdischen Gemeinde geht in die Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts zurück. Sie unterhielt einen Betsaal im 1687 erbauten Fachwerkhaus "Am Mühlgraben" 14, das heute als Wohnhaus genutzt wird. Um 1925, als zur jüdischen Gemeinde 17 Personen gehörten, war Gustav Epstein Gemeindevorsteher. 1933 lebten noch 13 Juden in Großsachsen. In den folgenden Jahren sind die Gemeindemitglieder aufgrund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen. Sechs jüdische Bürger kamen in der NS-Zeit um.

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