Die Schwetzingerin Fanny Lorch dokumentierte ihre Erlebnisse vom 10. November 1938. Die Redaktion der RNZ hat sich entschieden, ihr Zeugnis abzudrucken. Fanny Lorch starb am 1. Mai 1939:
"Am Donnerstagmorgen um 6 Uhr wurden wir durch ein furchtbar langes und lautes Schellen aus dem Schlaf geweckt. Wir lagen noch im Bett und man ließ uns nicht mehr die Zeit,
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Die Schwetzingerin Fanny Lorch dokumentierte ihre Erlebnisse vom 10. November 1938. Die Redaktion der RNZ hat sich entschieden, ihr Zeugnis abzudrucken. Fanny Lorch starb am 1. Mai 1939:
"Am Donnerstagmorgen um 6 Uhr wurden wir durch ein furchtbar langes und lautes Schellen aus dem Schlaf geweckt. Wir lagen noch im Bett und man ließ uns nicht mehr die Zeit, uns irgendetwas anzuziehen. Die Menge schrie, aufmachen, aufmachen, und bevor man einen Schritt tun konnte, brach die Masse durch die Tür herein, schlug die große Glasscheibe am Vorplatz ein, [sie] zündeten dann sämtliche Lichter in der ganzen Wohnung und Küche an und begannen alles kurz und klein zu schlagen.
Eine einzelne Aufzählung ist mir noch unmöglich, was alles zerstört wurde. Kurz gesagt, es wird im ganzen Haus kein gebrauchsfähiges Stück mehr sein.
Abgesehen von all diesem, was weggekommen, befinden sich [zwei] gold[ene] Uhren, eine lange gold[ene] Kette, ein Andenken m[eines] Vaters, und eine große Menge allerhand Akten (darunter). Unter Drohungen wurde ich dann gezwungen, den Kassenschrank zu öffnen, aus dem sodann meine Geschäftsbücher, Belege, Hausbuch für Einnahmen und Ausgaben wie weitere wertvolle Akten herausgerissen wurden, die, wie ich nachher sah, auf der Straße durchgeblättert und teilweise vernichtet wurden.
Als dieses Zerstörungswerk fertig [war], kam eine Anzahl [von] Jugend[lichen], die unter lautem Freudengeschrei Steine in die Fensterluken warfen, so daß wir in dem Haus unseres Lebens nicht mehr sicher waren. Notdürftig angezogen[,] flüchteten wir zu einer Mieterin und benachrichtigten durch eine Mieterin die Polizei, daß wir aus dem Hause wollten.
Die Polizei ließ sagen, wir werden abgeholt und müssten bleiben. Wir wurden dann etwas später von [zwei] Polizisten geholt und zum Rathaus gebracht. Dann sah ich meine Tochter nicht mehr bis zur Abfahrt abends nach Mannheim. Ich selbst wurde in das II. Stockwerk geführt, wo ich von einigen Herren ins Verhör genommen wurde.
Bemerken will ich, daß ich 80 Jahre alt und nach diesen oben geschilderten Aufregungen überhaupt nicht mehr fähig zu denken und zu sprechen war.
Man fragte mich dann, ob ich bereit sei, mein Haus zu protokollieren und was die jüdische Bude wert sei. Man fragte, was der Einheitswert der Judenbude sei, ich sagte soviel ich mich entsinne, 45.000 [Mark]. Der Herr behauptete 26.000 [Mark,] und wenn ich nicht sofort einwillige und unterschreibe, d[as] heißt, ich hätte [fünf] Minuten Zeit, dann läßt er mich nach Dachau bringen.
Ich war sprachlos, noch unter dem Druck des zuletzt Erlebten und konnte keine Antwort geben. Dann nach einigen Augenblicken sagte der Herr, seine Geduld sei am Ende, noch [drei] Minuten hätte ich Zeit zu überlegen, entweder Dachau oder das Haus hergeben. Das einzige, was ich sagen konnte, war, ich gehe nicht nach Dachau. Sonst kein Wort.
Der Herr hat den Kaufpreis genannt und auch die Bedingungen wie der Akt lauten muß genannt, dann wurde ich unter polizeilicher Bedeckung ins Amtsgerichtsgebäude geführt, dort ins Notariat, wo ein Vertrag geschrieben wurde nach Angaben dieses Herrn.
Der Herr Justizrat XY fragte mich, ob ich unterschreiben will, ich antwortete: ich muß, mehr zu sagen war mir unmöglich, die Kehle war mir zugeschnürt aus Angst vor diesen Menschen. Ich bat den Herrn Justizrat, mir die Abschrift zu geben, er sagte dies zu, habe aber bis heute noch nichts bekommen.
Meine Tochter und ich wurden dann nach Mannheim gebracht. Ich habe hier nur kurz geschildert... was weiter noch in der Wohnung vorgekommen [ist], kann ich unmöglich schildern." – Fanny Lorch, Schlossplatz 3.
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