Von Steffen Rüth
Jan, an menschlichem Kontakt mangelt es Dir als Familienvater von vier Kindern wahrscheinlich nicht. Was aber fehlt Dir in der nun seit einem Jahr grassierenden Pandemie am meisten?
Jan Plewka: Gestern Abend hat mich meine Frau mit einem mitleidigen Blick umarmt und gemeint: Du tust mir so leid. Ich fragte sie wieso, und sie sagte: Weil du deine Bestimmung nicht leben darfst. Da hat sie wohl recht. Ich bin viel mit meiner Familie zusammen, draußen unterwegs, lese Bücher, koche gerne, spiele Gitarre und Klavier und quatsche viel mit anderen Menschen – aber das, wofür ich im Leben angetreten bin, nämlich auf der Bühne zu stehen, das fehlt mir wirklich sehr. Das ist gerade ein Gefühl wie Liebeskummer.
Wie gehst Du mit diesem Gefühl um?
Ich versuche, bewusst zu atmen, zu meditieren und ruhig zu bleiben. Ich bemühe mich, das Positive an diesem ganzen Debakel zu sehen und die Zeit zu nutzen, um innerlich weiterzukommen. Ich achte zum Beispiel besser auf die Ernährung als früher. Mit 50 wird das sowieso höchste Zeit. Ich schreibe auch viele Lieder.
Habt ihr Euer Album noch vor Seuchenausbruch fertig bekommen?
Überwiegend ja. Zwei Lieder haben wir im vergangenen Frühjahr noch aufgenommen, das war schön. Das Studio ist wie ein magischer Ort, an dem Raum und Zeit wegfallen. Draußen tobte die Pandemie, während wir drinnen voll konzentriert und ohne Ablenkungen an unserer Musik arbeiten konnten.
Ihr habt Euch mit Franz Plasa wiedervereinigt, mit dem Ihr 1994 bereits in seinem Hamburger H.O.M.E.-Studio das erste Album "Selig" aufgenommen hattet. Später kam es zum kreativen Zerwürfnis. Habt Ihr Euch wieder vertragen?
Wir sind damals tatsächlich nicht im Guten auseinandergegangen. Jetzt haben wir wieder Frieden schließen können. Vor allem ging es darum, ob wir noch miteinander arbeiten können oder nicht. Die Arbeit mit Franz hat von Anfang an Spaß gemacht, und eine große Aussprache war nicht nötig. Wir kannten uns ja gut von früher, und irgendwie gab es keine offenen Fragen mehr. Es war wie nach Hause kommen.
Für "Myriaden" habt Ihr angeblich 96 Lieder geschrieben. Ihr habt richtig was reingelegt in dieses Album, oder?
Das haben wir. Zwei Jahre Arbeit stecken da drin. Uns war wichtig, dass wir eine vielfältige Platte machen, dass funkige Stücke ebenso ihren Platz finden wie rockige und dazu ruhig, auch mal eine sentimentale Popballade. Das alles Entscheidende bei uns ist die Suche nach den magischen Momenten.
Woran erkennst Du diese magischen Momente in Eurer Musik?
Es ist magisch, wenn es groovt. Und wenn der Song eine Atmosphäre entstehen lässt, der ich als Texter einen Inhalt geben kann und geben möchte.
Eines der Stücke heißt tatsächlich "Selig". Du singst "Selig ist der Augenblick". Was macht einen Augenblick zum seligen Augenblick?
Wenn er im Hier und Jetzt stattfindet. Ich denke dabei vor allem an die Momente, in denen wir uns beim Spielen auf der Bühne sehr nah sind. In solchen Augenblicken gibt es für mich keine Zukunft und keine Vergangenheit. Nur den Moment. Und die Magie.
Wie erreichen denn Menschen, die nicht zusammen in einer Band spielen, selige Augenblicke?
Wenn sie weniger gehetzt sind. Wenn sie nicht denken: Erst muss ich hier hin, dann da hin, und dann auch noch dort hin. Diese Gedanken prägen uns schon immer. Unser zweites Album 1995 hieß "hier".
Hilft uns die große Corona-Entschleunigung, dem seligen Zustand näherzukommen, da wir im Allgemeinen weniger Terminstress haben?
Ja, der Ansicht bin ich. Weil die Außenwelt der Menschen eingeschränkt ist, haben sie die Chance, sich mehr auf ihre innere Unendlichkeit konzentrieren zu können.
Was soll man da entdecken können?
Na, sich selbst zum Beispiel (lacht). Und anschließend die Welt um einen herum. Dann sehen wir vielleicht, dass wir gar nicht so viel brauchen, wie uns immer weisgemacht wird. Wir sehen, mit wie wenig wir zurechtkommen können und dass das Leben vor Corona ein total überfrachteter Luxus voller Sinnlosigkeiten war. Ich glaube, dass gerade eine Achtsamkeit entsteht, die uns hilft, die Magie des Augenblicks zu genießen.
"Du bist die schönste aller Narben, bis ans Ende meiner Tage" singst Du im Lied "Du". Wer ist da angesprochen?
Sowohl meine Frau als auch die ganze Welt. Kernthema unseres Albums ist die Frage, wie wir miteinander umgehen und wie wir mit unserem Planeten umgehen. Die Platte ist ein Liebesbrief an diese Perle im All, auf der wir leben dürfen.
Du schimpfst "Alles ist so ordinär" im Stück "Alles ist so". Was stößt Dir besonders auf?
Dieser ganze uncharmante konsumorientierte Weg, den die alten weißen Männer uns vorgelebt haben. Ich möchte nicht, dass die Welt untergeht wegen ordinärer, erbärmlicher Typen wie Trump oder Bolsonaro. Es gibt für mich keine größere Liebe als die Liebe zu unserem Planeten. Gäbe es die Erde nicht, oder wäre kein Leben auf ihr möglich, dann wären wir alle nicht hier. Und was tun wir? Schränken zum Beispiel die Lebensräume der Tiere immer weiter ein. HIV, SARS, Corona – das sprang alles von den Tieren auf den Menschen. Und insgesamt gibt es glaube ich noch 700.000 weitere Viren. Corona ist ein Schuss vor den Bug. Corona greift die Atemwege an, und wir, wir machen genau dasselbe mit unserem Planeten. Wir klauen der Erde den Atem.
Info: Das Album "Myriaden" gibt es ab 12. März. Live: 8. Oktober 21, Karlsruhe.