Mit der in Georgien geborenen Melua sprach Olaf Neumann
Katie Melua, wie geht es Ihnen in diesen merkwürdigen Zeiten?
Ich muss gestehen, wirklich gut. Ich bin in London und probe gerade die Songs von meinem neuen Album ein. Heute früh bin ich aufgewacht mit dem Gedanken, dass ich die beste Band der Welt habe. Ich bin wirklich ein Glückskind.
Zur Einstimmung aufs Songschreiben lasen Sie Bob Dylans Autobiografie "Chronicles". War das hilfreich?
Und wie! Lesen ist mein Lebenselixier. Und ich bin ein großer Dylan-Fan. "Chronicles" habe ich vor anderthalb Jahren gelesen. Ich wollte schon immer tief in die Folkmusik eintauchen, ich wusste aber nie, wo ich damit anfangen soll. Man kann sich ja heutzutage alles online anhören. Das überfordert mich. Das Gute an Dylans Buch ist, dass er darin über seine frühen Einflüsse und Inspirationen schreibt. Ich habe mir all diese Namen notiert und dabei brillante Künstler wie Hank Williams, Woodie Guthrie und Joe Hickerson für mich entdeckt.
Hat dieses Buch Sie in eine kreative Stimmung versetzt?
Yeah, das hat es wirklich. Und auch all diese wunderschönen Folk-Platten, die ich mir daraufhin angehört habe. Manche bestehen lediglich aus Gitarre und Gesang. Sehr einfache Arrangements, aber die Stimmung ist zum Teil majestätisch. Ich habe mir eine Playlist zusammengestellt mit allen Songs, die Bob Dylan in dem Buch empfiehlt. Die habe ich mir dann auf einer Autofahrt durchs Kaukasus-Gebirge am schwarzen Meer in Georgien angehört. Einfach wunderschön!
Von dieser Reise, die Sie zusammen mit Ihrem Vater unternahmen, ließen Sie sich zu dem Song "Leaving The Mountain" inspirieren.
Der Mann, der uns fuhr, erzählte uns von einem eingefrorenen Wald, der sich in einem Gletscher befinden soll. Den wollten wir uns eigentlich anschauen, aber dafür reichte die Zeit dann nicht.
Fast jede Version der Songs, die auf der fertigen Platte zu hören sind, stammen aus der letzten Session zum Album. Warum war die so besonders?
Als mein Produzent Leo Abrahams und ich anfingen, an der Platte zu arbeiten, waren wir sehr darauf fokussiert, die richtige Songauswahl zu treffen. Wir dachten anfangs, dass das Einsingen der leichteste Part sein würde. Als wir immer mehr brauchbare Stücke ausgewählt hatten und sich ein Gesamtbild ergab, stellten wir fest, dass wir uns ein wirklich gutes Album erarbeitet hatten. Dass alles so glatt gelaufen war, kam uns aber ein bisschen verdächtig vor. Im Januar fingen wir dann an, den Gesang aufzunehmen. Wahrscheinlich habe ich in dieser Phase viel Druck verspürt, weil die Deadline immer näher rückte. Ich habe dann von jedem Stück 10 oder zwölf Takes eingesungen, aber die Energie stimmte irgendwie nicht. Das war deutlich herauszuhören.
Was haben Sie getan, als Sie merkten, dass Ihnen die Zeit davonlief.
Wir gaben Gas und beschlossen, noch eine letzte Session zu spielen. Dabei habe ich nicht jeden Song zehnmal nacheinander, sondern gleich das komplette Werk eingesungen. Und zwar insgesamt dreimal. Diese Gesangsspuren haben es schließlich aufs finale Album geschafft. Es war ein Experiment. Zum Glück fühlte die finale Session sich sehr leicht an.
Hatten Sie beim Singen das Gefühl, dass Magie in der Luft lag?
Wissen Sie was, das Gefühl habe ich immer, wenn ich gute Songs singe. (lacht) Wird der Druck zu groß, verspürt man jedoch weniger Magie. Der Trick ist, beim Singen das Bewusstsein auszuschalten. Das funktioniert nur dann, wenn man zu 100 Prozent vom Material überzeugt ist. Tief in mir spüre ich, ob etwas, das ich gerade tue, gut ist. Ist ein Projekt weniger gut, kann ich als Sängerin auch nicht richtig liefern.
Entstehen Ihre Songs immer aus einem Gefühl heraus?
Songs können praktisch aus allem heraus entstehen. Zum Beispiel aus dem Wunsch heraus, etwas wirklich Gutes zu kreieren. Oder aus dem Wunsch heraus, den Wesenszug einer Person einzufangen oder einen bestimmten Moment unvergesslich zu machen.
In "Airtime" besingen Sie das Ende Ihrer Ehe mit dem britischen Rocksänger und Ex-Rennfahrer James Toseland. Fällt es Ihnen leichter, über private Dinge zu singen als darüber zu sprechen?
Oh ja, Gesang ist sehr mächtig. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Singen mich regelrecht verwandelt und mir dabei hilft, Dinge besser zu verstehen. Das gilt übrigens auch für den Schreibprozess. Mir ist wichtig, dass mein Privatleben nicht im Sensationsstil rüberkommt. Gleichzeitig habe ich auch keine Angst, darüber zu singen. Dieser Song ist meine Art, mich zu öffnen und mit einer Trennung umzugehen. Ich will damit sagen, dass ich nichts bedauere und dass das Leben trotz allem einfach wunderschön ist. Es gibt viele Arten, auf das Ende einer Beziehung zu blicken. Dies ist meine persönliche Perspektive.
Hat Ihre Arbeit einen therapeutischen Effekt auf Sie?
Wenn man es schafft, alle psychologischen Barrieren zu überwinden, wirkt das Schreiben auf jeden Fall therapeutisch. Dieser Prozess ist oft auch sehr schmerzhaft, weil man immer nach etwas sucht, das einzigartig, wunderschön und wahr ist. Man will Songs machen, auf die man stolz sein kann. Auch will man die Kolleginnen und Kollegen beeindrucken. Ich persönlich suche immer nach einer Rechtfertigung dafür, dass ich den besten Job der Welt ausüben darf.