Von Manfred Fritz
Frankfurt. Auf das Lot Nr. 35 haben etliche der Uhrenkenner, die im Sheraton am Frankfurter Flughafen ungeduldig auf ihren Stühlen sitzen, gewartet: Eine Lange 1 aus dem Jahr 1998, die es so offiziell nie gegeben hat. Denn ihr Gehäuse ist nicht aus Gold oder Platin – sondern "nur" aus Edelstahl. Ein ausgefallener Kundenwunsch vermutlich. Aber genau damit erfüllt sie das Ausnahme-Kriterium für den heißen Markt mit exklusiven Raritäten der Top-Marken: je seltener und prestigeträchtiger, desto begehrter und teurer.
Im Katalog auf zwischen 100.000 und 130.000 Euro geschätzt, steigt Auktionator Stefan Muser, der mit seiner Frau Steffi auf dem Podium thront und wie ein Dirigent die Gebote bestätigt, gleich bei 150.000 Euro ein. Auf diese stolze Summe beläuft sich nämlich ein bereits schriftlich eingereichtes Vorgebot. Doch damit ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht: "einhundertsechzig" ... "einhundertsiebzig" ... "einhundertfünfundsiebzig" zum Ersten, zum Zweiten und – wer bietet mehr? – zum Dritten! Der Hammer fällt.
175.000 – richtig Geld für eine Uhr, die in der obligatorischen Edelmetallvariante damals 28.500 D-Mark gekostet hat. Zwar kein Schnäppchen. Aber sicher weiterhin eine solide Geldanlage in Zeiten der Null- bis Minuszinsen. Zum Hammerpreis kommen für die tickende Aktie nämlich noch 25 Prozent sogenanntes Aufgeld, macht unterm Strich also 220.000 Euro. Ein anderes Lot mit drei mechanisch komplizierten Lange-Uhren aus einer kleinen Sonderserie finden sogar für 365.000 und 456.000 (inkl. Aufgeld) einen Käufer. Die Glashütter Traditionsmarke war früher und ist auch heute wieder eine gute Adresse für Sammler.
Stefan Muser (r.) bat zur 100. Jubiläumsveranstaltung den Gründer des Auktionshauses, Dr. Crott, mit aufs Podium; links Steffi Muser. Foto: rnzUnd so läuft es an diesem Abend – es ist die 100. Jubiläumsveranstaltung des international präsenten Mannheimer Auktionshauses Dr. Crott mit seinem Inhaber Stefan Muser – Schlag auf Schlag. Im wahrsten Sinne. Der kleine Hammer besiegelt jedes Mal eines der ursprünglichsten Rechtsgeschäfte, bei dem aber – anders als auf dem Basar – nur in eine Richtung gehandelt wird: nach oben. An diesem Abend werden genau 100 Lots aufgerufen. Darunter neben wunderschönen historischen Uhren auch alle derzeitigen "Hypes" des Gebrauchtuhrenmarktes: Eine frühe Rolex "Pepsi" von 1959, die nagelneu als GMT-Master II heute 8400 Euro kostet, wenn man sie überhaupt bekommt – geht für 80.000 Euro weg. Teure Patina.
Eine ältere Rolex Cosmograph Daytona, ähnlich wie sie 2017 aus dem Besitz von Paul Newman in New York für irre 17,7 Millionen Dollar versteigert wurde, schafft ohne Promi-Zuschlag die Grenze von 40.000 Euro jedoch nicht. Auch einige andere Sportuhren der Marke mit dem Krönchen gehen zurück. Offenbar deutet sich da eine – überfällige – Preis-Abkühlung an. Historische Ausgaben der Omega Speedmaster, jenes Chronographen, der die US-Mondmissionen begleitete, werden indes mehrfach für über 30.000 Euro versteigert. Im Online-Handel kostet die Uhren-Ikone neu knapp unter 4000 Euro.
Und dann ist da natürlich die nur in homöopathischen Dosen in den Verkauf gebrachte Edel-Stahluhr namens Nautilus von Patek Philippe – auf die seit ein, zwei Jahren ein Run ohnegleichen eingesetzt hat: Sie ist kaum zu bekommen. Wird weiter nur in kleinen Stückzahlen gefertigt. Und wer sie sofort besitzen und zeigen möchte, darum geht es ja, muss für ein gebrauchtes Exemplar das Doppelte bis Dreifache des derzeitigen Einstandspreises von 22.300 Euro hinlegen. Große Komplikationen, für die Patek berühmt ist, übersteigen diesen Rahmen aber beträchtlich – wie eine bildschöne Minutenrepetition mit Emaille-Zifferblatt, die den Zuschlag bei 250.000 Euro erhält.
Taschenuhren sind oft erschwinglicher als die modernen Uhren-Hypes am Handgelenk. Foto: rnzFast preiswert dagegen das ehrwürdige Uhrenkunstwerk einer Taschenuhr, mit Schlagwerk und Schleppzeiger, ebenfalls von Patek Philippe 1904 für den US-Markt gefertigt: Zuschlag bei 24.000 Euro. Oder eine Augsburger Miniatur-Anhängeuhr mit herrlicher Emaille-Malerei von 1650, die als echtes Kunstobjekt für 27.000 Euro weggeht. Am Arm tragen kann man das allerdings nicht. Der Taschenuhrenmarkt ist eine kleine Nische, die von Stefan Muser ebenso gepflegt wird wie der sehr spezialisierte Handel mit Renaissance- und Barockuhren der alten englischen, französischen oder deutschen Meister.
Ein solches Prachtstück kommt bei der Jubiläums-Auktion in Form einer französischen Louis XV Bronze-Prunkpendule aus der Zeit um 1770 zum Aufruf. Eine Kombination aus Uhr und Figurenautomat mit Halbstunden- und Stundenschlag sowie vier Automatenfunktionen (s. Abbildung). Der Elefant kann die Augen rollen, die Ohren vor und zurückschwingen und sogar Rüssel wie auch Schwanz bewegen. Sie findet allerdings an diesem Abend keinen Liebhaber.
Damit das Geschäft funktioniert, sprich: Der Rubel auf dem lukrativen Sammlermarkt rollt und die Preise tendenziell steigen, dafür ist der Auktionator da. Denn von seiner Expertise, seiner Seriosität und einem nicht unbeachtlichen Organisationstalent hängt es ab, ob zu ihm auch Leute mit echten Schätzchen kommen, die er zum beiderseitigen Nutzen zu Geld machen kann. So wie vor etlichen Jahren jener ältere Herr aus Ungarn, der von ihm eine komplizierte Patek Philippe im Stahlgehäuse schätzen lassen wollte, für die ihm schon 7000 Euro geboten worden seien. Muser erkannte die Seltenheit jener Referenz 1518, von der nur eine Handvoll bekannt war. Sagte dem verdutzten Mann, 250.000 Euro sei sie mindestens wert. Dieser überließ sie ihm in Kommission. Für 1,3 Millionen wurde sie schließlich versteigert. Eine baugleiche Uhr, die Nummer sieben, erlöste vor kurzem sogar elf Millionen Euro.
Sammleruhr „Moonwatch“ . Mit diesem Modell waren die Amerikaner auf dem Mond. Foto: rnzDas sind Geschichten, die natürlich nicht alltäglich sind. Und deshalb rät Muser auch davon ab, wahllos Uhren aus aktueller Produktion mit dem Ziel zu sammeln, auf Wertsteigerung zu hoffen. Denn in der Tat, zu diesem Business gehört sehr viel Wissen. Man muss warten können. Und nicht alles, was heute teuer ist, hat auch einmal das Zeug zur Kult-Uhr.
Stefan Muser, der seit Langem in Mannheim mit Blick auf den Wasserturm residiert, kennt sich aus, wird auch oft als Gutachter für komplizierte Fälle herangezogen. Dem Firmengründer Dr. Helmut Crott aus Aachen, der bei der Jubiläums-Auktion beim ersten Lot noch einmal den Hammer mitschwang, kaufte er das Auktionshaus 1993 ab, beließ es beim eingeführten Namen, fügte aber den Mannheimer Wasserturm als Logo hinzu. Ein Jahr später organisierte er seine ersten Auktionen am Airport in Frankfurt. Die 100. und tags darauf die 101. Mitte November waren die letzten am alten Platz.
Am 9. Mai fällt mit der Auktion Nr. 102 dann der Hammer in Mannheim – im "Speicher 7", einem idealen Umfeld mit Hotel und Sterne-Gastronomie direkt am Rheinufer. Dann können Saalbieter oder Interessierte einer weltweiten Uhren-Sammlergemeinde am Telefon oder im Internet den aufwendigen Auktions-Katalog, gedruckt oder online, abarbeiten und mitbieten. Oder eben nur mitträumen. Eingedenk der Tatsache: Versteigern ist sprachlich eine Erweiterung von "steigen". Preislich trifft das in der Regel zu. Und man kann sich dabei auch in einen Wunsch hineinsteigern. Das hebt dann wieder des Auktionators Herz.
Info: Auktionen Dr. Crott, Mannheim, www.uhren-muser.de; info@uhren-muser.de.