RNZ_Reise/Magazin_Kolumne-31.01.2018 13:15:32
Von Reinhard Lask
Wenn es um das "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" geht, kommen meist die Kritiker zu Wort. Das Gesetz würde die Entscheidung darüber, was Meinungsfreiheit darf und was nicht, privatisieren. Dieser Vorwurf ist falsch. Schlimmer: Er lenkt von den eigentlichen Problemen ab, die soziale Netzwerke verursachen.
Wichtig zunächst ist: Seit das Gesetz Mitte 2017 verabschiedet wurde, ist nichts verboten worden, was vorher erlaubt war. Allerdings wurden die Netzwerke nun dazu verdonnert, schneller zu reagieren, wenn deren Nutzer strafbare Inhalte publizieren.
Vorher haben sich Facebook, Twitter & Co. lange geweigert, gegen Fake News, Hetze und Beleidigungen vorzugehen. Nicht weil es um Meinungsfreiheit geht, sondern es gut fürs Geschäft ist. Je kontroverser die Diskussion, desto mehr wird kommentiert, geliket, geklickt, gemacht.
Die sozialen Medien haben die Strafverfolgung zwar nicht aktiv behindert, aber sich dabei jahrelang einen schmalen Fuß gemacht. Das Argument: "Wir sind nur die Plattform und nicht inhaltlich verantwortlich." Inhalte schnell zu löschen ist nicht nur schlecht für die Klick-Statistik, es kostet auch "Aufpasser"-Personal und vergrault Nutzer, die eben ihre Hetze ohne Einschränkungen verbreiten wollen.
Allerdings funktionierte das Löschen bei Facebook zum Beispiel schon vor dem Gesetz sehr zuverlässig, wenn es um nackte Frauenbrüste ging. Die sind dann recht schnell wieder weg und kommen auch nicht wieder. Diese "Zensur" beruht auf den Gepflogenheiten in den USA, wo zum Beispiel nackte Frauenbrüste in der Öffentlichkeit tabu sind.
Was bei der Debatte unter den Tisch fällt ist, dass die meisten sozialen Medien schon immer selbst zensiert haben. Sie zeigen ihren Nutzern erst mal nur, was die von Mitarbeitern programmierten Algorithmen berechnet haben. Zensur ist hier quasi das Erfolgsrezept, das nur anzeigt, "was interessant ist". Die Kriterien dafür, wie die Inhalte für die Nutzer ausgewählt werden, sind Betriebsgeheimnis.
Doch anstatt zu debattieren, welche Probleme die sozialen Medien für die politische Debattenkultur einer modernen Gesellschaft bereitet, hacken die Verfechter der Meinungsfreiheit auf jene ein, die den Medien-Giganten demokratische Grenzen aufzeigen wollen.
Ein gutes Beispiel für diesen Irrsinn: Als die AfD-Politikerin Beatrix von Storch von "barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden" sprach, sperrte Twitter ihren Account für zwölf Stunden. Als die Satire-Zeitschrift "Titanic" den Begriff "Barbarenhorden" für eine Satire verwende, wurde der Account ebenfalls gesperrt. Linke, FDP und Grüne forderten daraufhin das Gesetz abzuschaffen.
Völlig ignoriert wurden jahrelang die Opfer der sozialen Medien. Prominentes Beispiel ist der Journalist Richard Gutjahr. Weil er zufällig bei zwei großen Terroranschlägen in Nizza und München vor Ort war und mit einer israelischen Politikerin verheiratet ist, sind er und seine Familie Ziel von Verleumdungen etlicher Verschwörungstheoretiker geworden. Er ist einer der wenigen, der darüber berichtet, wie schwer es ist, sich gegen Hetze bei Facebook oder Youtube zu wehren.
Seltsam, dass Facebook, Twitter & Co. als milliardenschwere Privatunternehmen im Namen der Freiheit unter den Schutz des Grundgesetzes gestellt werden. Wenn sich aber Opfer von Hetze und Desinformation wehren wollen, können die Täter fast unbehelligt weitermachen und sich nun noch als Opfer staatlicher Zensur inszenieren.